Hier erwacht die Kunst
Ein Zuhause, das der Kunst der Bewohnerin gerecht wird: Die Bildhauerin Alice Trepp hat im Tessin eine Villa gebaut, die Atelier und Wohnhaus zugleich ist
Echte Menschen, reale Gesichtszüge, authentische Gefühle, viel Natürlichkeit: Die Arbeiten der ecuadorianischen Bildhauerin Alice Trepp erzählen Geschichten. Die Menschen, die sie sorgfältig als Skulptur abbildet, wählt sie mit Bedacht aus. Eine Skulptur ist auch ihre Villa, die sie im kleinen Dorf Origlio im Tessin mit Mino Caggiula Architects SA realisiert hat. Alice Trepp hat sich auf einem Grundstück von 1998 Quadratmetern einen Rückzugsort geschaffen, der als Wohnhaus, Atelier und Wohlfühloase zugleich dient. Ecken und Kanten existieren beim Atelier Alice Trepp nicht, denn geschwungene Fassaden und kreisförmige Räume machen den Bau aus. Alte griechische Theater, die früher oft an Orten mit einer spektakulären Aussicht lagen, inspirierten die Architekten. Auch dieses Grundstück zeichnet sich durch einen sanft abfallenden Hügel mit Blick auf den Monte Tamaro aus. Mino Caggiula Architects, die der Bauherrin von einem gemeinsamen Freund empfohlen und vorgestellt wurden, wussten den Vorteil des Ortes zu nutzen. «Die Form des Ateliers Alice Trepp ergibt sich aus der Analyse der Konturlinien. Die Volumina nehmen Gestalt an wie Blätter, die aus dem Boden gehoben werden, sodass die Architektur tatsächlich ein Teil der Erde selbst zu sein scheint», erklärt Designarchitekt Mino Caggiula. Entstanden ist eine Villa, geprägt von glatten und organischen Formen, die mit der natürlichen Umgebung verschmilzt. Die zweistöckige Villa mit sechs Parkplätzen wurde während dreier Jahre gebaut. Das Atelier der Künstlerin und Bauherrin wird durch eine grosszügige Eingangshalle, eine Terrasse, einen Fitnessraum, eine Waschküche und einen Technikraum ergänzt. Herzstück des gesamten Hauses sind die Küche und das Wohnzimmer. Drei Schlafzimmer und vier Bäder sowie der Biopool dienen als Erholungszone. Unter einem Betondach schmiegt sich eine Glasfassade über das ganze Gebäude und lässt viel natürliches Licht durchscheinen. Verschiedene Materialien ergänzen sich optimal, sodass das Haus einen stimmigen Gesamteindruck hinterlässt.
Zusammenspiel der Materialien
So vielseitig Alice Trepps Kunstwerke sind, so unterschiedlich sind die Werkstoffe, mit denen das Einfamilienhaus gebaut wurde. «Wir haben oft mit Beton gearbeitet, der mit Harzmörtel verkleidet wurde», erzählt Mino Caggiula. Komplementär zum kühlen und dezenten Beton wurde für den Boden im Innenbereich der Villa geräuchertes Eichenholz mit einem warmen Charakter gewählt. Ein Material, das an die Antike erinnert und das Unebenheiten und Unregelmässigkeiten des Holzes zulässt – gar hervorhebt. Alle Türen und Fensterrahmen der Villa sind aus Aluminium, die Treppe ist aus Metall. Die Brüstungen aus Glas schaffen eine Parallele zur Glasfront am Gebäude und transportieren das Tageslicht in alle Räume. Im Aussenbereich sorgen helle Natursteinplatten aus der italienischen Region Piemont für Abwechslung. Ein weiterer Grund, weshalb sich die Villa nahtlos in die Struktur des Grundstücks einfügt, sind die begrünten Dächer. «Fast alle Dachflächen sind begrünt und begehbar», so der Architekt. Damit sind sie Teil des Aussenraumprogramms. Ton in Ton mit der Umgebung runden die Dächer das Aussenkonzept ab und schaffen einen natürlichen Untergrund für Flora und Fauna. Ruhe und Entspannung waren wichtige Werte, die in das Gesamtkonzept einflossen. Für diese Gefühle sorgt heute vor allem die Cenote, die eingeplant wurde und welche die ecuadorianische Herkunft der Künstlerin würdigt.
Reflektion des Wassers
Vor allem in Ecuador, der Heimat von Alice Trepp, gibt es viele Cenoten. In der Natur sind es grosse Löcher in der Erde, entstanden durch den Einsturz einer Höhlendecke. Sie sind mit Wasser gefüllt und mit ihren in die Tiefe hängenden Pflanzen ein paradiesischer Ort für Badegäste und Besucher. Im Atelier Alice Trepp wurde die Cenote mit einem markanten Loch im Bau dargestellt. Die umlaufende Form ist zum Himmel offen und verfügt über ein ruhiges Wasserbecken, in dem sich das Licht spiegelt. Pflanzen in sattem Grün hängen in die künstliche Schlucht und verleihen dem Ort Farbe und Natürlichkeit. Die Cenote ist ein idealer Ort für künstlerische Kontemplation und Bühne für das Spiel von Licht und Schatten. Um diesen Kern herum liegen die beiden Stockwerke, die sich überschneiden, und schaffen ein dynamisches Spiel aus Transparenz, Licht und Landschaft. Mit dem Licht, das sich auf dem Wasser im Innern der Cenote bricht, lässt sich die Flüchtigkeit der Zeit und des Tages beobachten, da das Licht je nach Uhrzeit unterschiedlich ins Haus fällt. «Die Frische, die vom Wasser kommt, die leichte Brise, welche die süss duftende, überhängende Vegetation sanft streift, das Zwitschern der Vögel und der Blick auf die vorbeiziehenden Wolken beschwören Visionen der Künstlerin herauf», sagen die Architekten.
Visionen und ihre Umsetzung
Hinter dem Atelier Alice Trepp, das im Jahr 2019 fertiggestellt wurde, liegt eine herausfordernde Bau- und Planungsphase. Das fertige Projekt stellt ein raffiniertes Gleichgewicht zwischen den Bedürfnissen und den Wünschen der Künstlerin als Bauherrin und dem Ort dar, an dem sich die Villa befindet. Die Cenote soll als Ort der Inspiration dienen, die Räume sollen ausgefallen, aber trotzdem funktional sein. Diese Anforderungen wurden mit den Gegebenheiten des Grundstücks abgeglichen. Mit der harmonischen Integration in die Natur, die dank der an die Bodenstruktur angepassten Form optimal gelungen ist, wird die Grenze zwischen innen und aussen verwischt. Mit dieser Villa hat sich die Künstlerin eine anregende Umgebung geschaffen, um Visionen für ihre Kunst zu sammeln. ●
Bautafel
Architektur Mino Caggiula Architects SA
Konstruktion Verstärkte Betonkonstruktion
Bruttowohnfläche 445 m2
Wandbeläge Gips, Kunstharz
Bodenbeläge Eichenholz, Naturstein
Fenster und Türen Aluminium
Technik Luft-Wasser-Wärmepumpe, Smart Home