Fliessendes Gewand
Ein silbrig schimmerndes Gewand kleidet die neue Textilakademie NRW in Mönchengladbach. Zuschnitt und Stahlunterkonstruktion der textilen Hülle berechnete das Ingenieurbüro formTL.

Ein massgeschneidertes Kleid schmiegt sich um den Neubau der Textilakademie NRW in Mönchengladbach (D). Das silbrig schimmernde Gewebe verleiht dem Ausbildungszentrum für die Textil- und Bekleidungsindustrie bereits von Weitem eine starke Präsenz auf dem Campus der Hochschule Niederrhein. Die Lerninhalte der Akademie werden so nach aussen transportiert, und der vielfältige Einsatz von Textilien wird erlebbar. Dabei steht die transparente, beweglich anmutende Membrane im starken Kontrast zu der klaren Geometrie des dreigeschossigen Kubus, den sie umhüllt. Das Gebäude von Slapa Oberholz Pszczulny Architekten beinhaltet ein zentrales Atrium, Lehr- und Verwaltungsräume und eine Aula. Sämtliche Fensterflächen liegen so hinter der Membrane verborgen, lediglich der Eingangsbereich zeigt sich unverhüllt und empfängt Schüler und Besucher mit einer grosszügigen Glasfassade.
Unterschiedlicher Zuschnitt
Scheint sich die textile Fassade auf den ersten Blick in einer gleichmässigen Wellenbewegung um den Kubus herum zu bewegen, zeigt sich die Differenziertheit im Detail: Denn sämtliche Stoffbahnen des fliessenden Gewandes unterscheiden sich in ihrem jeweiligen Zuschnitt voneinander. Die gewünschte dynamische Wirkung der Hülle beeinflusste also massgeblich die Konstruktionsweise. Hinzu kam der Wunsch der Architekten nach einer möglichst schlanken, unscheinbaren Tragkonstruktion. Beide Parameter erforderten eine präzise Planung und enge Abstimmung der Projektbeteiligten untereinander: So arbeiteten formTL Ingenieure, die für Seile, Stahlunterkonstruktion und Membrane zuständig waren, Hand in Hand mit den ausführenden Unternehmen.
Basis für die vorgespannte Fassade bildete die von formTL mit Kehl- und Gratseilen formgefundene Membran-Seil-Konstruktion. Als formgebende und lastabtragende Elemente sind die Seile linear entlang der Fassade von oben nach unten in Kehle und Grat gespannt, somit teilen sich die Seile die Last von Windsog und Winddruck.
Die aus einzelnen Stoffbahnen zusammengefügte, rund 2100 m² grosse textile Hülle schlingt sich abwechselnd vor beziehungsweise hinter den Seilen ondulierend um den Kubus. Sowohl die Seile als auch die Membrane sind an einer Stahlkonstruktion aus liegenden Stahlbögen gelagert. Geformt wurden die Stahlbögen aus quadratischen Hohlprofilen, und die unterschiedlichen Bogenradien verleihen der wellenförmigen Hülle eine besondere Dynamik. Ihre Verankerung am Massivgebäude erfolgt oben über Stahlkonsolen und Stahlschwerter, wobei die Anschlüsse gelenkig ausgeführt sind. Die schrägen Abstützungen waren aufgrund des Lastabtrages in den Massivbaukörpern erforderlich, um die Stabilität der vorgehängten Fassadenhaut zu gewährleisten. Am unteren Abschluss wird die Last direkt in die Bodenplatte beziehungsweise die Decke der Tiefgarage abgetragen. Eine statische Herausforderung war neben den unterschiedlich geformten Stoffbahnen und dem teilweise grossen Abstand zwischen Hülle und Massivbau auch die Durchdringung der aussen am Gebäude angebrachten Dämmung.
Um dem Gewand eine möglichst leichte Wirkung zu verleihen und die Konstruktion weitgehend zu verbergen, wurde das Gewebe nicht unmittelbar an den liegenden Stahlbögen befestigt. Angeschweisste, gebogene Stahlleisten bilden den optischen Abschluss und ermöglichen, die Stoffbahnen annähernd unsichtbar vor den lastabtragenden Bögen mit Abdeckleisten elegant zu klemmen. Auch die Schweissnaht der Einzelbahnen tritt kaum in Erscheinung, da sie den vertikal gespannten Kehl- und Gratseilen folgt. Die Seile haben oben verstellbare Gewindefittings, mit denen sich das starre Gewebe geringfügig nachjustieren lässt. Das Gewebe wurde an den Membranausschnitten konstruktiv verstärkt.
Während das Gebäude tagsüber auch bei einer Membrandurchlässigkeit von etwa 48 Prozent wie ein stoffartiges Gebilde erscheint, zeigt sich bei Dunkelheit ein spannungsvoller Umkehreffekt: Ist der Innenraum beleuchtet, kommen die unterschiedlich grossen und unregelmässig über die Fassade verteilten Fensterflächen zum Vorschein und erzeugen ein völlig anderes, spannungsvolles Erscheinungsbild. ●






