Unter algorithmischen Vorzeichen

Der Entwurfsprozess ist der Kern des kreativen Schaffens von Planenden. Slik Architekten ergänzen dieses Verfahren um den parametrischen Prozess. Steffen Lemmerzahl berichtet über die daraus resultierenden Veränderungen und Herausforderungen.

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Beispiel für einen generativen Algorithmus in Rhino/Grasshopper 2019. Foto: S. L.
Parametrisches Entwerfen könnte den Kreativprozess von Planenden vereinfachen. Anhand festgelegter Kriterien suchen Algorithmen nach der idealen Lösung.
Der Entwurfsprozess ist der Kern des kreativen Schaffens von Planenden. Slik Architekten ergänzen dieses Verfahren um den parametrischen Prozess. Steffen Lemmerzahl berichtet über die daraus resultierenden Veränderungen und Herausforderungen.Sie entwerfen mithilfe von Algorithmen. Können Sie den zugrunde liegenden technischen Prozess schildern?
Wenn man mit Algorithmen oder, etwas allgemeiner formuliert, mit maschinellen Prozessen arbeitet, muss man sich bewusst sein, dass diese jeweils sehr klar definierte Schnittstellen voraussetzen. Welche Informationen liegen in welcher Form vor? Was für ein Ergebnis wird wie aufbereitet benötigt? Das zwingt einen dazu, sich der eigenen, oft der Intuition folgenden Arbeitsschritte beim Entwerfen bewusst zu werden. Und diese zu beschreiben, am besten so, dass eine Maschine damit einen Beitrag leisten kann. Das ist ein längerer Lernprozess, aber schliesslich kann man fast jede Arbeit in kleine, einfache Schritte zerlegen. Und davon profitieren am Ende nicht nur die Algorithmen, sondern auch die Teams, die einen Entwurf bearbeiten.Man spricht dabei auch vom parametrischen Entwerfen. Ist dieses Verfahren voll automatisiert, oder verlangt es weiterhin das Eingreifen von Architekten?
Bei uns werden parametrische Prozesse in den alltäglichen Entwurf integriert, und zwar dort, wo sie projektspezifisch Sinn er-geben. Es werden also, wie gerade geschildert, einzelne Arbeitspakete delegiert, aber die meisten werden weiterhin von uns Architekten bearbeitet. Im Jahr 2009 haben wir das Experiment durchgeführt, bei einem Architekturwettbewerb so viel wie möglich einem generativen Algorithmus zu übertragen. Interessanterweise wurde das Projekt von der Jury akzeptiert. Das heisst, es kam einem von Menschenhand gemachten Entwurf wohl nahe genug, dass man es ernst genommen hat. Das allein war ein grosser Erfolg. Gleichzeitig hat uns dieses Experiment aber auch die Grenzen aufgezeigt, wie weit man gehen sollte. Viel konnten wir nämlich nicht beeinflussen, die Konzeption des Algorithmus hat das von diesem geschaffenen Ergebnis sehr umfassend bestimmt. Deshalb ist ein voll automatisierter Prozess gar nicht mehr interessant für mich – jedenfalls derzeit.

«Generative Algorithmen steuern eine Vielzahl von parametrischen Algorithmen, indem sie diese mit wechselnden Parametern füttern und anschliessend das Ergebnis auswerten.»
Steffen Lemmerzahl

In welcher Phase kommt das parametrische Entwerfen zum Einsatz?
Man kann diese Methodik in allen Phasen anwenden. Bei der Konzeptfindung unterstützt man so vielleicht das Variantenstudium, in der Ausführungsplanung wiederum können komplexe Geometrien einfach beherrscht werden. Allgemein ist parametrisches Arbeiten bei Arbeitsschritten sinnvoll, die besonders repetitiv oder komplex sind und ansonsten nicht beherrschbar wären. In der Konzeptphase wären das beispielsweise Flächenauszüge oder die Kontrolle einfacher Baugesetze, in der Ausführung oft die Fassade, die aus mehreren Hundert oder Tausend ähnlichen, aber nicht gleichen Elementen besteht.

Welche Kriterien liegen den Entwurfsalgorithmen zugrunde?
Das hängt sehr davon ab, mit welcher Art von Algorithmen man es zu tun hat. Parametrische Algorithmen verwerten, wie der Name schon sagt, Parameter. Diese werden dann mehr oder weniger linear auf komplexere Zusammenhänge angewendet, wie die Geometrie eines Fassadenelements. Man kann respektive muss durch die Kontrolle der Parameter beeinflussen, wie das Ergebnis aussieht. Möchte man etwas Kontrolle abgeben und überraschende Momente erzeugen, werden Zufallszahlen oder trigonometrische Funktionen für einzelne Parameter verwendet. In jedem Fall erhält man hier sehr zuverlässig die zu erwartenden Ergebnisse. Etwas anders verhält es sich mit den generativen Algorithmen. Diese steuern eine Vielzahl von parametrischen Algorithmen, indem sie diese mit wechselnden Parametern füttern und anschliessend das Ergebnis auswerten. Schliesslich wird dieses Ergebnis auf ein Ziel hin optimiert, beispielsweise ein Maximum oder einen genau festgelegten Zielwert. Als Entwerfender muss man dem Algorithmus genug Spielraum geben, sprich die Kontrolle zu einem gewissen Grad abgeben, was die eingesetzten Parameter und damit die so erzeugten Geometrien betrifft. Man kontrolliert stattdessen die Performance dieser Geometrien, die ja nicht unbedingt technischer Natur sein muss. Insofern sind die generativen Algorithmen ein sehr mächtiges Entwurfswerkzeug, weil sie die Lösungssuche stark beschleunigen – wenn man weiss, wonach man sucht.

Die Ergebnisse sind zufriedenstellend?
Seit Kurzem gibt es erste Anwendungen von neuronalen Netzwerken in der Architektur. Bekannte Beispiele sind fotorealistische Fassaden, die aus einfachen Ansichten generiert werden können, oder sich automatisch der Gebäudeform anpassende Grundrisse. Hier kann man als Entwerfender nur noch durch das Training der neuronalen Netzwerke Einfluss auf die Ergebnisse nehmen. Das heisst, man kann das Trainingsmaterial, also die Daten, sorgfältig zusammenstellen und einzelne Lernschritte festsetzen. Alles Weitere entsteht innerhalb der neuronalen Netzwerke, deren interne Abläufe selbst ihre Erfinder nicht 100-prozentig verstehen. Die ersten Anwendungen sind trotzdem sehr vielversprechend, und ich denke, hier wird noch viel passieren.

«Mit den parametrischen Werkzeugen kann man direkt von der Skizze zum Ausführungsdetail gelangen.»
Steffen Lemmerzahl

Welche Informationen sind hinsichtlich der zu verarbeitenden Daten von besonderer Bedeutung?
Bisher musste man mit den wenigen Daten arbeiten, die man überhaupt bekommen konnte. Mittlerweile unterstützen viele Kantone Open Data, wodurch die Auswahl grösser wird. Noch kann ich aber nicht sagen, dass ich gewisse Datensätze anderen vorziehe. Das ist projektspezifisch. Welche Fragen stellen sich, und unter Zuhilfenahme welcher Daten kann man Antworten finden? Zukünftig würde ich aber gern viel mehr Simulationen durchführen. Es kann eigentlich nicht sein, dass wir die meisten Gebäude in der Schweiz immer noch auf Basis von Faustformeln entwickeln, was zum Beispiel Raumklima und Energieflüsse betrifft. Derzeit ist man immer noch auf Spezialisten angewiesen, wenn man etwas genauer wissen möchte, obwohl die meisten Daten eigentlich vorhanden wären.

Ist das parametrische Entwerfen unabhängig vom Gebäudetyp?
Prinzipiell ja. Allerdings kann man damit bei sehr einfachen Typologien wenig erreichen. Bei diesen stellt sich die Frage, ob sich der Aufwand überhaupt lohnt. Denn dieser ist relativ hoch, weil man jede konkrete Aufgabe parametrisieren muss.

Wie stark ist das parametrische Entwerfen bereits in Ihrem Entwurfsprozess implementiert?
Es gibt Projekte, die mehrheitlich mit parametrischen Prozessen entworfen werden. Bei anderen kommen sie hingegen überhaupt nicht zur Anwendung. Das hängt immer vom Projekt und den daran beteiligten Personen – intern wie extern – ab.

Besteht die Gefahr, dass sich der kreative Entwurfsprozess zu einem standardisierten Verfahren wandelt mit untergeordneter Priorität?
Es ist durchaus denkbar, dass es bald Werkzeuge gibt, mit denen man in sehr kurzer Zeit standardisierte Bauten ausführungsreif modellieren kann. In Ansätzen existiert das schon, und wer solche Bauten erstellen will, wird davon profitieren. Aber generalisieren würde ich das nicht. Die Mehrheit der Bauaufgaben ist zu komplex, um sie mit standardisierten Verfahren zu bewältigen.

Wird die handelsübliche Skizze dann als Entwurfswerkzeug überflüssig?
Nein, im Gegenteil, sie wird wieder wichtiger. Bisher mussten Skizzen schrittweise in zunehmend detailliertere Pläne übersetzt werden, wodurch sich das Resultat oft stark von der ursprünglichen Intention unterschied. Mit den parametrischen Werkzeugen kann man direkt von der Skizze zum Ausführungsdetail gelangen. Abgesehen davon, kann ich mir nicht vorstellen, wie man einen parametrischen Prozess ohne Skizzen definieren könnte.

Inwieweit kann der Kreativitätsprozess hingegen von der Digitalisierung profitieren?
Wenn man diese richtig einsetzt, kann man mit den vorhandenen und entstehenden Methoden der Digitalisierung viele notwendige Prozesse automatisieren. So bleibt mehr Zeit für die Dinge, die einem Freude bereiten – und das sind ja meistens die Kreativprozesse. Und auch diese kann man, wenn man dafür offen ist, mit digitalen Werkzeugen erweitern. Das ist aber jedem selbst überlassen.

Wie kann eine Verbindung des digitalen Entwurfsprozesses zu BIM erfolgen?
Es ist problemlos möglich, digital entworfene Geometrien so auszugeben, dass man sie direkt in BIM-Prozessen verwenden kann. So können Planer aus anderen Disziplinen direkt mit den Ergebnissen weiterarbeiten. Umgekehrt wird es leider schwierig, denn BIM-Modelle bestehen aus sehr primitiv definierten Geometrien – sogenannten Meshes – und man kann kaum Rückschlüsse auf die ihnen zugrunde liegenden Definitionen ziehen. Die Daten sind somit ungeeignet, um von maschinellen Prozessen weiterverarbeitet zu werden, zumindest mit den aktuellen IFC-Spezifikationen. Es gibt aber Vorstösse, das zu optimieren.

Wir sind inmitten einer Digitalisierung der Baubranche. In welcher Phase befinden wir uns aktuell, und wird der Digitalisierungsprozess jemals abgeschlossen sein?
Die in den letzten Jahren sehr verbreitete BIM-Diskussion hat zumindest dafür gesorgt, dass das Thema Digitalisierung in vielen Planungsbüros zum Thema wurde. Ich befürchte allerdings, dass man sich oft mit dem Zukauf einer BIM-fähigen Software zufriedengibt. Damit hat der Digitalisierungsprozess aber noch nicht einmal begonnen. Denn erst wenn im Anschluss die internen Prozesse auf einen digitalen Austausch mit den anderen Planern umgestellt wurden, hat man diesen Schritt gemacht.

Weiterhin ist unsere gesamte Branche noch darauf ausgerichtet, die Arbeitsstunden ihrer Mitarbeiter zu verrechnen. Wie soll das funktionieren, wenn ein zunehmend grösserer Anteil der Planungsleistungen automatisiert werden kann? Es wäre dringend nötig, die Honorierung den neuen Gegebenheiten anzupassen und sich auf den Mehrwert zu konzentrieren, den wir Planer generieren. Insofern befinden wir uns als Branche derzeit noch auf Feld 1 der Digitalisierung. ●

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Tageslichtsimulation Yond, Zürich, 2016. Foto: S. L.
parametrischen experimental
Experimental GAN-generated Masterplans, 2019. Foto: Stanislas Chaillou
parametrischen fassade
Von der Skizze zum 3-D-Modell. Prof. CAAD, ETH Zürich, 2005. Foto: S. L.
Steffen Lemmerzah
Steffen Lemmerzahl, Architekt, Slik Architekten
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