Der Baum der Erkenntnis

Das grösste vorgefertigte Holz-Hybrid-Hochhaus der Schweiz trägt den Namen Arbo (von lat. Baum) und gehört zum Suurstoffi-Areal, Baufeld 1. Auch dieses Ensemble gibt es natürlich zweimal: einmal digital und schon bald real.

Suurstoffi
Das Baufeld 1 gehört zum nachhaltig gemischt genutzten Quartier Suurstoffi und wird zukünftig Raum für rund 1500 Bewohnerinnen und Bewohner, bis zu 2000 Studierende und über 2500 Arbeitsplätze bieten. Foto: Zug Estates AG
Von Robert Schütz
Das grösste vorgefertigte Holz-Hybrid-Hochhaus der Schweiz trägt den Namen Arbo (von lat. Baum) und gehört zum Suurstoffi-Areal, Baufeld 1. Auch dieses Ensemble gibt es natürlich zweimal: einmal digital und schon bald real.
Das Suurstoffi-Areal in Rotkreuz ZG ist ein umfangreiches Bauprojekt, das aus mehreren Teilbereichen und Bauabschnitten besteht. Auf dem Baufeld 1 –Campus entsteht derzeit in unmittelbarer Nähe zum Bahnhof ein dreiteiliger Gebäudekomplex. Vor allem die Nähe zu den Bahngleisen und der geringe Platz auf der Baustelle waren grosse Herausforderungen. Das Baufeld 1 gehört zum nachhaltig gemischt genutzten Quartier Suurstoffi und wird Raum für rund 1500 Bewohnerinnen und Bewohner, 2000 Studierende und über 2500 Arbeitsplätze bieten. Und: Hier steht schon bald das höchste Holz-Hybrid-Haus der Schweiz, dessen Name «Arbo» sich vom lateinischen Wort für Baum (arbor) ableitet. Im Juli 2017 wurde die Baubewilligung für das neuste Teilprojekt des Suurstoffi erteilt und im Februar 2018 schliesslich der Grundstein für das 185-Millionen-Franken-Projekt gelegt. Nun entstehen in kürzester Zeit 26 000 Quadratmeter vermietbare Büro- und Gewerbefläche, wovon etwa 70 Prozent von der Hochschule Luzern genutzt werden. Schon ab Ende August 2019 sollen das Institut für Finanzdienstleistungen (IFZ) sowie das Institut für Informatik ihr neues Domzil nutzen können. Die zweite Etappe des Projekts wird voraussichtlich ab Frühling 2020 bezugsfertig sein. Ein enges Zeitfenster. Doch dank BIM sollte das kein Problem sein.

Lean Construction schont Ressourcen

Nicht nur die Planungsmethode BIM ist für die termingerechte Fertigstellung innerhalb des Budgetrahmens verantwortlich. Gemäss den Verantwortlichen findet ein weiteres Verfahren Anwendung, das vielleicht noch weniger bekannt ist: Lean Construction. Laut Aussage von Birgitta Schock, Partnerin des Büros Schockguyan, hat die Lean-Methode zusätzlich die Aufgabe, die Ursachen von Verschwendung zu erkennen, zu reduzieren und Mehrwert zu schaffen. Weiter erläutert die Architektin, die bei diesem Projekt für die Implementierung der Lean-Methode gemeinsam mit DS-Consulting verantwortlich ist: «Lean ist eine Methode und eine Philosophie, welche auf der Veränderung von Verhaltensmustern basiert und den Beteiligten Verantwortung und Kontrolle überträgt.» Verschwendung steht in diesem Sinn für Respektlosigkeit gegenüber den Menschen und den natürlichen Ressourcen. Ein Ansatz, der gerade hier in Rotkreuz ganz selbstverständlich ist, handelt es sich doch um ein integriertes, verkehrsfreies Areal, das nach den Grundsätzen der Nachhaltigkeit geplant und betrieben wird, wie es Tobias Achermann formuliert. Er ist CEO der Zug Estates AG und vertritt im Projekt die Bauherrschaft.

Das Zusammenspiel von BIM, Lean und Logistik

Die Lean-Methode gibt es seit Mitte der 90er-Jahre. Im Baufeld 1 am Suurstoffi ist es allerdings das erste Mal, dass die Lean-Prozessplanung direkt mit BIM verknüpft wird. Die speziellen Herausforderungen beim Baufeld 1, das direkt an den Gleisen am Bahnhof Rotkreuz liegt, waren die kurze Bauzeit, der geringe Platz und die beschränkte Zufahrtsmöglichkeit. Hier spielte somit die Logistikplanung als Teil der gesamten Planung eine wichtige Rolle. Für das perfekte Zusammenspiel von der Bestellung über die Lieferung bis zur Ausführung auf der Baustelle wurden alle Informationen über das Modell koordiniert. Vom IT-Beratungsunternehmen Kaulquappe AG wurde hierfür eine auf Open-BIM basierende Datenbank bereitgestellt, die es ermöglicht, eine gemeinsame Sprache für das Objekt zu entwickeln. Julian Amann, BIM-Manager bei Kaulquappe, betont in diesem Zusammenhang: «Die Planungsmethode BIM wird hier sehr ernsthaft umgesetzt. Es gibt keinen Prozess, der nicht modellbasiert abläuft.»

«Es handelt sich hier um ein verkehrsfreies Areal, das nach den Grundsätzen der Nachhaltigkeit geplant und betrieben wird.» Tobias Achermann, CEO der Zug Estates AG, Bauherrschaft

Wie wichtig den Planern und der Bauherrschaft das Thema BIM ist, zeigt auch, dass man bei beim Generalplaner, der Archobau AG, das GP-Leitungsteam um die Funktion des BIM-Managements aufgestockt hat und auch die Verantwortung zum Beispiel hinsichtlich Baulogistik und Lean Construction Management übernommen hat. Seitens der Bauherrschaft wurde das projektbezogene Qualitätsmanagement um das PQM BIM erweitert. Eine Sache überrascht aber innerhalb dieser digitalen und virtuellen Welt und in Zeiten, wo viele das papierlose Büros anstreben: die Nutzung von gedruckten Kanban-Karten auf der Baustelle. Diese werden wie folgt eingesetzt: Die Information zur Kontrolle der Arbeitsschritte und der verbauten Materialien und Bauteile erfolgt direkt aus den Modelldaten; diese werden auf die Kanban-Karten gedruckt und in die Vorrichtung an der Wand eingesteckt. Am Abend, nach Fertigstellung der Aufgabe, werden diese Karten auf die grüne Seite umgedreht; die Schritte gelten somit als erledigt. Abschliessend werden die gedruckten Karten mit dem Handscanner über einen Strichcode ausgelesen; die Updates fliessen ins digitale Modell zurück. Peter Diggelmann von der Archobau AG, die für die Generalplanung zuständig ist, bringt den Nutzen beim Einsatz der digitalen Planungsmethode schön auf den Punkt: «Aufgrund von BIM war es möglich, die Baustelle in der kurzen Zeit auf den Stand zu bringen, wie wir ihn heute haben.» Ohne BIM, so glaubt er, wäre das nicht möglich gewesen.

Alle profitieren vom BIM-Modell

Im Zentrum der Planung steht das BIM-Modell mit Datenbank. Auch beteiligte Bauunternehmen und Zulieferer konnten von der BIM-Methode stark profitieren. So auch das innovative Holzbauunternehmen Erne, das für die Herstellung der Holzelemente für zwei Gebäude zuständig ist, die in Holz-Hybrid-Bauweise entstehen. Die Daten hierfür lassen sich ebenfalls aus dem 3D-Modell gewinnen. So kann man die einzelnen Module bequem und exakt im Werk vorproduzieren. Die Anlieferung erfolgt nach Fertigstellung just in time auf der Baustelle. Diese Fertigungsmethode spart Lagerraum und verkürzt die Bauzeit erheblich. Insgesamt wird bei diesem Projekt die Arbeit von rund 260 Beteiligten von 40 verschiedenen Firmen mit Hilfe der BIM-Methode koordiniert. Hinzu kommen ein umfangreicher Anforderungskatalog und das Raumprogramm. Ganz wichtige Arbeitsschritte betreffen die Kostenplanung und -schätzung sowie die Ausschreibung. Für die hierfür erforderliche Ermittlung der Mengen diente das 3D-Modell ebenfalls als verlässliche und unkomplizierte Datenquelle.

Ganz wichtig sind die Schaffung der gemeinsamen Planungs- und Informationsstruktur und der Lean-Grobterminplan sowie die sukzessive Verfeinerung und die anschliessende Übergabe der ermittelten Mengenangaben und Termine an die Logistik. Die gesamte virtuelle Zusammenarbeit aller am Projekt Beteiligten basiert auf dem Konzept Open-BIM. Spezielle Daten- und Kollaborationsformate wie etwa IFC, BCF, IDM, MVD machen es möglich. Ein ganz entscheidender Vorteil beim Open-BIM-Standard: Alle Projektbeteiligten können sich mit eigener, für ihre Zwecke geeigneter Software beteiligen. Jedem Berechtigten stehen so der Zugang und die Nutzung des Datenmodells offen. Im Anschluss erfolgt der Datenaustausch über den IFC-Standard. Die Hierarchien und Regeln für alle Elemente wurden entsprechend diesem Standard entwickelt. Die Kommunikation im Planungsteam zwischen Planer, Unternehmer und Bauherr basiert auf diesem einen Modell. Fürs Issue Management wird zudem das BIM Collaboration Format (BCF) verwendet. Um zu überprüfen, ob die Ausführungen mit der Planung im 3D-IFC-Modell übereinstimmen, wird auf der Baustelle mit einer Punktwolke gemessen. Bei Abweichungen wird wieder eine neue BCF Issue erstellt.

Information Delivery Manual (IDM)

Alle Informationen zur Planung und für den Bau werden in einer einzigen Datenbasis zentral gespeichert. Hier können alle auf die Daten zugreifen, diese bearbeiten und nutzen. Diese einzige Quelle wird auch Single Source of Truth (SSOT) genannt. Die Planungskoordination aller Planer und Unternehmer erfolgt wöchentlich in einer ICE-Session. Insgesamt werden beim Suurstoffi-Projekt an die 50 IFC-Modelle aus verschiedenen Fachbereichen aktualisiert. Mittels Kollisionsprüfung können Fehler behoben werden. Wichtig ist, dass die Modelle regelbasiert geometrisch kontrolliert werden. Der Projektabwicklungsplan ist strukturgebende Methode und wurde im Prozess der digitalen Planung vorab definiert und durch Feedback laufend angepasst. Zusätzlich zum BAP wurde mit den Planern ein spezifisches Information Delivery Manual (IDM) für das Projekt entwickelt, um auf bestimmte Software und das Team zu reagieren.

«Lean ist eine Methode und eine Philosophie, welche auf der Veränderung von Verhaltensmustern basiert und den Beteiligten Verantwortung und Kontrolle überträgt.» Birgitta Schock, Architektin und Partnerin des Büros Schockguyan GmbH

Abschliessend kann man zusammenfassen: Das gute Ergebnis wurde durch den Einsatz und die geschickte Kombination der Planungsmethoden BIM und Lean Construction sowie der perfekten Logistik erreicht. Gleiches gilt für die höhere Transparenz während des gesamten Ablaufs. Ohne den Einsatz und das Zusammenspiel von BIM, Lean und Logistik wäre das zu dem Zeitpunkt nicht möglich gewesen. Dieses Projekt liefert für alle ganz sicher eine Fülle neuer Erfahrung und wichtiger Erkenntnisse. ●

Suurstoffi
Vor allem die Nähe zu den Bahngleisen und der geringe Platz auf der Baustelle waren und sind grosse Herausforderungen. Foto: Emanuel Ammon, Aura
Suurstoffi
Auf dem Baufeld 1 – Campus entsteht derzeit in unmittelbarer Nähe zum Bahnhof Rotzkreuz ein dreiteiliger Gebäudekomplex. Foto: Zug Estates AG
Suurstoffi
Generalplaner-Meeting für das Baufeld 1. Foto: Christian Hildebrand, fotozug.ch
Grafik_Box
Für das perfekte Zusammenspiel wurden alle Informationen über das Modell koordiniert. Die Kollaboration funktioniert perfekt, von der Bestellung über die Lieferung bis zur Ausführung auf der Baustelle. Grafik: GS Consulting GmbH und Schockguyan GmbH
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