Vorbild für das Thema Baukultur

Der Textil- und Bekleidungsverband Nordwest vertritt rund 260 Unternehmen, die von der Entwicklung und Herstellung textiler Hightech-Materialien bis hin zum Modedesign tätig sind.

Roland Bondzio
Die Idee, das Thema Stoff durch die Komposition des Ziegelmauerwerks bereits von außen aufzunehmen, stammt von Architekt Roland Bondzio und seinem Team.
Interview

Das Thema Stoff bei einem Gebäude für den Textilverband aufzunehmen, liegt nahe. Wie sind Sie darauf gekommen, dieses Motiv mit insgesamt 74 000 Ziegelsteinen umzusetzen?Der Textil- und Bekleidungsverband Nordwest vertritt rund 260 Unternehmen, die von der Entwicklung und Herstellung textiler Hightech-Materialien bis hin zum Modedesign tätig sind. Bei der Entscheidung für einen Neubau stand schnell fest, dass das Gebäude eine eigene, dem Textilverband angemessene Anmutung haben sollte. Auf den ersten Blick sollten der Verband und sein Sitz als Teil der Branche Textil und Mode zu erkennen sein. Natürlich gab es Pläne, textile Werkstoffe für die Fassade zu verwenden. Das liess der Bebauungsplan aber nicht zu. Unsere Überlegung für die Fassadengestaltung war deshalb, Textil abstrakt darzustellen und nicht konkret: Wir schaffen – entsprechend den Vorgaben des Bebauungsplans – ein Ziegelgebäude, das den Faltenwurf eines gigantisches Tuches über der Fassade suggeriert. Tritt man dann ins Gebäude ein, gelangt man von der abstrakten in die konkrete Textilwelt.

Die gute Idee ist das eine. Aber liess sie sich so einfach umsetzen?

Wir hatten zu Beginn die Idee und erste sehr abstrakte Bilder, wussten zunächst aber nicht, wie wir das Thema konkret anpacken sollten. Gemeinsam mit dem Textilverband Nordwest haben wir gewissermassen ein Forschungsprojekt gestartet. Zunächst gab es den Ansatz, über die Fugenbreite ein Hell-Dunkel-Spiel zu erzeugen. Letztlich stellte es sich aber als am praktikabelsten heraus, den optischen Tuch-Effekt über die Ziegel statt über die Fugen zu erzielen. In den ersten Entwürfen haben wir am Rechner jeden einzelnen Stein bewegt, eine unglaublich aufwendige Arbeitsweise. Erst im zweiten Schritt haben wir ein parametrisches Programm geschrieben und mit dessen Hilfe zum Beispiel Licht- und Schattenverhältnisse auf der Fassade genau modelliert. Mit diesem planerischen Werkzeug und in enger Zusammenarbeit mit der Ziegelei Deppe in Uelsen (D) sind wir dann konkret zu den Sondersteinen in verschiedenen Grössen gekommen.

Das klingt alles sehr aufwendig. Sassen Ihnen nicht ständig die Zeit und der Bauherr im Nacken?

Wir hatten noch nie einen Bauherrn, der dem gestalterischen Niveau so gefolgt oder sogar vorangegangen ist wie der Textilverband. Wir haben immer auf Augenhöhe gearbeitet und hatten im eigens geschaffenen Bauausschuss kompetente Ansprechpartner. Für uns ist dieser Neubau ein vorbildliches Projekt für das Thema Baukultur, von der ersten Entscheidungsfindung über den gesamten Planungsprozess mit allen Beteiligten bis hin zum fertigen Gebäude und seinen Aussenanlagen.

Gibt es vergleichbare Bauten?

Bei sehr vielen historischen Ziegelgebäuden in Deutschland ist der Ziegel ornamental eingesetzt worden. Ein prominentes Beispiel ist das Hamburger Chile-Haus von Fritz Höger, einem der wichtigsten Architekten des Backstein-Expressionismus. In den vergangenen fünf bis zehn Jahren hat das Thema Ziegel in der Architektur wieder spürbar an Bedeutung gewonnen. Heute sieht man eher abstrakt gestaltete Fassaden, die einfache, wiederkehrende Muster oder Motive verwenden. Aber welcher Kollege oder welche Kollegin hat schon das Glück, für einen Textilverband oder Textilhersteller planen und bauen zu dürfen?

Auch innen spielt das Thema Stoff eine grosse Rolle.

Wir haben vor Baubeginn sehr viele Mitgliedsunternehmen des Verbandes besucht und uns deren Materialien sowie Produktionsprozesse angesehen. Frau Gaasch, die das Projekt in unserem Büro geleitet hat, und ich haben in dieser Phase des Projektes unglaublich viel über das Thema Textil, seine verschiedenen Ausgangsprodukte, Herstellungsprozesse und Einsatzmöglichkeiten gelernt. Inzwischen fühlen wir uns selbst ein bisschen wie «Textiler» und freuen uns bereits auf weitere Möglichkeiten, unser neues Wissen einsetzen zu können. Sehr viele Materialien aus den Mitgliedsunternehmen finden sich nun im neuen Verbandssitz wieder. Grösster Blickfang ist sicher ein 13 × 4 m grosses Filzgeflecht, das eigens angefertigt wurde und im Besprechungsraum hängt. Dazu gibt es noch viele weitere stoffliche Elemente. Textil dominiert ganz klar.

Ziegelsteinen
Die 1300 m2 große Südfassade des Gebäudes besteht komplett aus Ziegelsteinen und erweckt den Eindruck eines riesigen Tuches, das sich über das Gebäude legt. Fotos: Thomas Wrede
Sondersteine verwendet.
Insgesamt wurden 74 000 Sondersteine verwendet.
Sondersteine verwendet.
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