Orchideenblüten als Vorbild

Am Anfang stand der Blick durchs Mikroskop. Marvin Kehl, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Konstruktives Gestalten und Baukonstruktion im Fachbereich Bau- und Umweltingenieurwissenschaften der TU Darmstadt, studierte bestimmte Orchideenblüten und war fasziniert von den leichtgängigen und rückfedernden Gelenken der Blütenblätter.

Sonnenschutz
Makroaufnahme vom Prototyp des neuen Sonnenschutzes: Unter Zug klappen die «Gelenke» auf – Licht strömt hindurch.
Sonnenschutz mit textilen Gelenken
Ein neu entwickelter, variabler Sonnenschutz vereint die Vorteile von Textilrollos und Jalousien und kann gleichzeitig auch zur Lichtlenkung genutzt werden.
Am Anfang stand der Blick durchs Mikroskop. Marvin Kehl, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Konstruktives Gestalten und Baukonstruktion im Fachbereich Bau- und Umweltingenieurwissenschaften der TU Darmstadt, studierte bestimmte Orchideenblüten und war fasziniert von den leichtgängigen und rückfedernden Gelenken der Blütenblätter. Wie könnte man diesen Effekt auf das Bauwesen übertragen? Bald ergab sich eine Lösung: Das Prinzip lässt sich auf bestimmte Werkstoffe übertragen, zum Beispiel auf Stoff.Am Ende vieler Tests und Versuche steht nun ein innovativer, variabler Sonnenschutz. Dafür wird eine Stofffläche im Lasercutting-Verfahren mit einem optimierten Muster aus kleinen, zueinander versetzten Kurven perforiert, die von der Form her an Zungen erinnern. Wird nun die gesamte Stoffbahn unter Zug genommen und gestreckt, klappen die so erzeugten «Gelenke» auf, die Stoffzungen wölben sich dreidimensional nach einer Seite auf, und es entstehen gleichförmige Öffnungen. Die Grösse der Öffnungen geht dabei mit der Zugkraft einher. Sie lassen auch bei geschlossenem Sonnenschutzrollo genug Licht ins Zimmer, sodass es innen zu keiner Blendung kommt.

Stufenlos regulierbar

Durch unterschiedlich starken Zug lässt sich die Lichtmenge, die das Rollo durchlässt, im Gegensatz zu herkömmlichen, flächigen Textilrollos stufenlos regulieren. Zudem werden Blendeffekte zuverlässiger ausgeschaltet. Die Schnittmuster sind dabei variabel. Dreht man sie etwa im oberen Teil des Rollos um 180 Grad, bilden sich bei Zugspannung dort kleine «Kelche», die Tageslicht gezielt von aussen in den Raum leiten können und auch dunklere Innenbereiche mit natürlichem Licht versorgen – während trotzdem der Blendschutz in Fensternähe gewährleistet ist. Gegenüber herkömmlichen, starren Lamellenjalousien hat der neue Sonnenschutz aus perforierten Textilien zudem den Vorteil, dass er einfacher konstruiert ist, weniger Bauteile benötigt und ein geringerer mechanischer Verschleiss auftritt.

«Sonnen- und Blendschutz gehören in unseren Breiten zu den Zukunftsfragen im Bauwesen», sagt Professor Stefan Schäfer, Leiter des Instituts für Konstruktives Gestalten und Baukonstruktion, der die Entwicklung des innovativen textilen Sonnenschutzes mitgetragen hat. «Trotz extremen jahreszeitlichen Schwankungen müssen sich die Menschen in den Gebäuden jederzeit wohlfühlen.» So entstand unmittelbar die Idee, die mit bionisch-inspirierten Gelenken versehenen Textilien zu diesem Zweck nutzbar zu machen.

Die neue Technologie wurde vom Referat Forschungstransfer der TU Darmstadt mit Unterstützung der Wissenschaftler zum internationalen Patent angemeldet. Ein Prototyp überzeugte auf Messen Expertinnen und Experten aus der Sonnenschutzbranche. Zurzeit sind die Wissenschaftler auf der Suche nach Industriepartnern, um den Sonnenschutz zur Anwendung zu bringen. ●

Durch ein kontrolliertes Einbringen von Zugspannungen ist eine stufenlose Adaption des Rollos möglich.
Sonnenschutz
Professor Stefan Schäfer demonstriert am Prototyp, wie der innovative Sonnenschutz funktioniert. Durch Auseinanderziehen des Stoffes entstehen Öffnungen, die Licht durchlassen.
Sonnenschutz
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