Fenster in barrierefreien Gebäuden

Barrierefreies Bauen gehört heute zum Standard. Dabei denkt man vor allem an die Zugänge. Aber auch den Fenstern kommt in barrierefreien Gebäuden eine besondere Bedeutung zu. Wir sprachen mit Prof. Dr. Dagmar Everding, Autorin des Handbuchs «Barrierefreies Bauen».

Barrierefreies Bauen
Barrierefreie Fenster in einem Wohngebäude in Zürich. Fotos: Jörg Pfäffinger
Interview
Im Vorfeld der FENSTERBAU FRONTALE, der internationalen Leitmesse rund um Fenster, Türen und Fassaden, haben wir die bauliche Barrierefreiheit thematisiert.
Barrierefreies Bauen gehört heute zum Standard. Dabei denkt man vor allem an die Zugänge. Aber auch den Fenstern kommt in barrierefreien Gebäuden eine besondere Bedeutung zu. Wir sprachen mit Prof. Dr. Dagmar Everding, Autorin des Handbuchs «Barrierefreies Bauen».Beim Thema bauliche Barrierefreiheit denkt man vor allem an Aufzüge und Rampen. Welche Bedeutung haben die Fenster von Gebäuden für Senioren und für Menschen mit Behinderung?
Prof. Dr. Dagmar Everding:Fenster dienen der Belichtung, der Besonnung und der Belüftung von Gebäuden und bieten den Gebäudenutzerinnen und -nutzern einen Ausblick in die Umgebung. Gutes Licht und gute Luft sind für Menschen, die sich aufgrund ihres Alters oder ihrer körperlichen Einschränkungen viel in Innenräumen aufhalten, besonders wichtig.

Welche Anforderungen stellen Menschen mit Behinderungen an Fenster?
Zu unterscheiden sind generelle Anforderungen und die speziellen Bedürfnisse von Menschen je nach Art ihrer Behinderung. Grundsätzlich sollten die Fenster ausreichend bemessen und gut zu bedienen sein, um die genannten Funktionen zu erfüllen. Wohnungen sollten mindestens einen zentralen Aufenthaltsraum aufweisen, dessen Fenster auch im Winterhalbjahr Sonnenlicht hineinlassen. Gleichzeitig ist für eine wirksame sommerliche Verschattung zu sorgen. Personen mit eingeschränktem Hörvermögen profitieren von Lärmschutzfenstern, sie leiden so weniger unter Störgeräuschen. Auf den Rollstuhl angewiesene Menschen benötigen mindestens ein grösseres Fenster, das einen Ausblick in niedriger Höhe (maximal 60 Zentimeter hoch) eröffnet. Sehbehinderte Personen sind auf eine gute Tageslichtversorgung beim Wohnen, bei der Arbeit und in der Freizeit angewiesen. Das Öffnen und Schliessen der Fenster beziehungsweise der Fensterteile muss für alle Menschen mit eingeschränkter Motorik oder Kraft leichtgängig möglich sein. Das ist teilweise nur mit unterstützenden elektrischen Antrieben möglich.

Spielen bei den Fenstern auch Farben eine Rolle?
Ja, Farben sorgen beim barrierefreien Bauen für Kontraste. Zum einen sollten sich die Rahmen farblich von der Innenwand absetzen, zum anderen sind Bedienelemente wie Griffe und Schalter besser aufzufinden, wenn sie gegenüber ihrem Hintergrund kontrastreich gestaltet sind.

Reichen die Hilfen für eine bessere Bedienbarkeit von Fenstern, die bereits auf dem Markt sind?
Am weitesten verbreitet ist die elektrische Bedienung von Rollläden und Verschattungselementen. Fernbedienungen, um Oberlichter und Dachflächenfenster, die Lüftung der Räume und auch die Nachtabkühlung zu steuern, kommen zunehmend in Gebrauch. Als praktisch haben sich die integrierten Regensensoren herausgestellt. Sie sorgen für ein automatisches Schliessen der Fenster bei Sturm, Regen, Schnee und Hagel. Am Beginn ihrer Verbreitung befindet sich die internetbasierte Bedienung von Geräten und Ausstattungselementen.

«Zu barrierefreien Gebäuden gehören auch entsprechende Fenster!»
Prof. Dr. Dagmar Everding

Mithilfe einer App lassen sich Steuerungen auch in grosser Entfernung von Gebäuden bedienen. Als unzweckmässig erlebe ich zurzeit noch manche über Sensoren arbeitende Verschattungseinrichtungen. Bei schnell wandernden Wolken sind diese Elemente laufend in Bewegung und wirken dadurch störend.

Gibt es Fortschritte bei der Zertifizierung von Fenstern in barrierefreien Gebäuden?
Die Barrierefreiheit eines Gebäudes besteht aus dem funktionierenden Zusammenspiel vieler Komponenten. Ein Gebäudeeingang ist noch nicht barrierefrei, wenn er stufenfrei und schwellenlos ist. Es werden weitere Eigenschaften benötigt: die lichte Mindestbreite der Tür, die Bewegungsflächen vor und hinter der Tür und vieles mehr. Fenster sind Bestandteil einer barrierefreien Wohnung, eines barrierefreien Büros oder einer barrierefreien Arztpraxis. Für die Verbreitung barrierefreier Gebäude, die für alle Menschen nutzbar sind, ist es hilfreich, wenn Bauelemente und Produkte standardisiert zur Verfügung stehen, die über die Eigenschaften verfügen, die der Planer eines solchen Gebäudes benötigt: zum Beispiel Türen, deren Griffe auf der Bedienhöhe von 85 Zentimeter angebracht sind, Toiletten mit einer höheren Sitzhöhe und hochklappbaren Haltegriffen, Aufzüge in der vorgeschriebenen Kabinengrösse und Ausstattung. Das Bauelement Fenster hängt in seiner Bedeutung für die Barrierefreiheit allerdings stark von der jeweiligen architektonischen Planung ab. Seine eigenständigen barrierefreien Eigenschaften liegen vor allem in der Bedienbarkeit.

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Dagmar Everding
Prof. Dr. Dagmar Everding ist Architektin und Planerin, Autorin des Handbuchs «Barrierefreies Bauen» sowie Fachgutachterin für barrierefreie Planungen und Bauten bei dem Zertifizierungsunternehmen DIN Certco.
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