Weiterbauen – Der Charme früherer Zeiten
Die ehemalige Anlage der Kleiderfabrik Frey in Wangen bei Olten bietet nach einem Umbau räumlich vielfältige Strukturen für zahlreiche Nutzungen unter Wahrung des ursprünglichen Industrie-Charakters.

Es ist über 20 Jahre her, dass die renommierte Kleiderfabrik Frey AG geschlossen wurde. Nach Jahren der Zwischennutzung und des Leerstandes erkannte die Stiftung Abendrot in Basel das Umnutzungspotenzial der altehrwürdigen Anlage. Die Stiftung sicherte den Erhalt des Gebäudes und entwarf innerhalb der folgenden vier Jahre mögliche Nutzungsstrategien mit dem Ziel, die Verquickung elementarer Lebenssituationen im einstigen Firmen-komplex zu vollziehen bzw. Arbeiten und Wohnen unter einem Dach zu vereinen. Dabei sollte der Charme der Frey-Fabrik bewahrt und mittels baulicher Eingriffe ins neue Jahrhundert überführt werden.
Sowohl die Lage wie auch die Struktur der Architektur waren dafür ideal. Das ehemalige Fabrikanwesen bietet hohe, Tageslicht-durchflutete, um einen grossen Innenhof angeordnete Räume ebenso für Gewerbebetreibende wie auch für Bewohner. In der Hauptsache besteht die Anlage aus einem 1912 erstellten Gebäudekomplex und einem zweistöckigen Hallenanbau aus dem Jahr 1939 (ehemalige «Nähhalle») und erinnert in ihrem herben Cachet mitunter an ein bescheidenes brandenburgisches Landschlösschen.
Knapp 4000 Quadratmeter Nutzfläche (ohne rückwärtige Halle) hält die einstige Industrie-Anlage bereit, aufgeteilt in knapp 1100 Quadratmeter Wohn- und 2750 Quadratmeter Gewerbefläche, was etwa zwei grosszügig veranschlagten Eishockey-Rinks entspricht. Eigentliches Prunkstück der Anlage ist dabei die ehemalige «Nähhalle», in welcher einst die Uniformennäherei beheimatet war und die mit knapp 1600 Quadratmeter für hiesige Verhältnisse schon fast epochale Ausmasse aufweist.
Die präzise Auslotung der Eingriffstiefe war Grundvoraussetzung, um die Industriegeschichte der Kleider Frey AG zu berücksichtigen und prägende Merkmale der einstigen ersten Bauetappe herausschälen und sichtbar machen zu können – dies ganz im Sinne des zuständigen Architekturbüros Robert & Esslinger, das sich seit Jahren mit einer ihrer Kernkompetenzen für eine angemessene Verwertung historischer Substanzen einsetzt.
Erhaltung des Bestandes
Der bauliche Rahmen forderte die Charme-Erhaltung der aus der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts stammenden Fabrik und damit die maximal mögliche Erhaltung des Bestands, gleichzeitig aber möglichst tiefe Umbaukosten. Ein Spagat, der einen gewissen pragmatischen Umgang mit der alten und der neuen Bausubstanz und langjährige Erfahrung voraussetzt.
Die ehemals stark gewichtete horizontale Schichtung der Gebäudestruktur kommt beim realisierten Projekt nicht mehr zum Tragen. Die vertikale Schichtung erlaubt einen einfacheren Umgang mit den Brandschutz- bzw. Schallschutz-Rahmenbedingungen und die Mitnahme der vorhandenen Bodenmaterialisierung, das heisst Massnahmen, die zugleich die Baukosten senken.
Durch diese vertikale Gliederung der Raumstruktur entstehen neue Raumerlebnisse mit den Maisonnette- und Atelierwohnungen in den Seitenflügeln, im Obergeschoss durch die Raumbox, in der Küche, Sanitärräume und Vertikalerschliessung untergebracht sind.
Wohnlandschaft oder Atelier
Insgesamt sind drei über die gesamte Anlage verteilte Nutzungs-Layouts entstanden; lichtdurchflutete ein- oder zweigeschossige Einheiten, die ebenso als Wohnlandschaft oder Ateliers genutzt werden können. Eine räumliche Verdichtung von kreativem Wirken im Erdgeschoss und zugehörigem Loft-Wohnen im Obergeschoss, allesamt in adäquater Industrie-Atmosphäre: etwa in Beton gestrichene Böden, belassener erdfarbener Grundputz an den Wänden und sichtbar geführte Leitungen. In der ehemaligen «Nähhalle» – mit der hohen Decke und raumhohen Fenstern – wurden verschiedene Ausbauvarianten geprüft. Die Stiftung Abendrot sucht derzeit für die Halle noch einen geeigneten Nutzer. Die darunter liegende Lagerhalle organisiert sich neu als Auto-Einstellhalle.
Inneres Zentrum der Anlage ist der Hofraum des Südgebäudes. Darum reihen sich die Loft-Wohnungen, die aus einem Atelier im Erdgeschoss und einer dazugehörigen Wohnung im Obergeschoss bestehen, was sie zu einer wirklichen Rarität macht. Der Innenhof funktioniert als Zugang zu den einzelnen Mieteinheiten und verbindet diese zugleich als eigentliche Begegnungszone für eine sich gegenseitig anregende Vielfalt an Handwerkern, Künstlern und Kreativen anderer Kulturfeldern, die sich dort insbesondere in der warmen Jahreszeit unter einem Schatten spendenden Baum treffen und austauschen können.
Dieser vielfältige Mix der neuen Nutzer verleiht dem ehemaligen Kleider-Frey-Areal eine neue Identität, aber mit der Wahrung und angemessenen Behandlung der altehrwürdigen Substanz atmet die transformierte Anlage weiterhin den Geist der industriellen Entwicklung. ●
Bautafel
Bauherrschaft Stiftung Abendrot, Basel
Architektur Robert & Esslinger AG, Architektur und Denkmalpflege, Rickenbach
Bauingenieur Frey + Gnehm AG, Olten
Elektroingenieur Sturzenegger Planungs GmbH, Rickenbach
HLKK-Ingenieur und Sanitäringenieur Raimann + Partner AG, Trimbach
Zur Geschichte der Kleiderfabrik Frey AG

1909 gründete der damalige Lokomotivführer Arthur Josef Frey zusammen mit seiner Frau Emma, einer gelernten Schneiderin, in Wangen bei Olten einen industriellen Betrieb zur Fertigung von Herrenhosen. Es war praktisch das erste Industrieunternehmen im damaligen Bauerndorf. Drei Jahre später bezog das Gründerehepaar mit 35 Näherinnen den ersten Fabrikneubau.
Das Unternehmen entwickelte sich rasant und wurde schnell zu einem führenden Modefachgeschäft schweizweit, das sich auf Männermode spezialisierte. Der Slogan «Ei … ei … ei … Kleider-Frey» war weitherum bekannt.
In den besten Zeiten arbeiteten 700 bis 800 Männer und Frauen im Unternehmen in Wangen, das bekannt war für fortschrittliche Arbeitsbedingungen – etwa mit einer 5-Tages-Woche und einer Pensionskasse, lange bevor dies bei anderen Unternehmen spruchreif war.
Ende des letzten Jahrhunderts ging es aber rasant abwärts mit der Wangener Firma. Schweizer Unternehmen konnten mit solchen aus dem Ausland nicht mehr mithalten. Mitte der Neunzigerjahre kam das definitive Ende – ein Schock für die ganze Region. Die Gebäude wurden verkauft, verlotterten zusehends, bis 2012 die Basler Pensionskassenstiftung «Abendrot» das Anwesen übernahm.
Der Name Frey stand bereits im 17. Jahrhundert in Verbindung mit dem Schneiderberuf in der Region. Das heutige Hofgebäude reicht zurück bis ins Jahr 1912, als die Unternehmensgründer Arthur und Emma Frey-Reimann das Grundstück neben ihrem Wohnhaus erwarben, um darauf die erste Kleiderfabrik zu erstellen. 1918 erfolgte der Auf- und Anbau der Liegenschaft zu einem U-förmigen Gebäude, ausgestattet mit einer für damalige Verhältnisse hoch modernen technischen Infrastruktur. Die dritte und letzte bauliche Erweiterung wurde 1939 vorgenommen (ehemalige «Nähhalle»).










