Siedlungs- und Städtebau – Als Wohnhaus neu lesbar
Das Projekt «Neues Wohnen» in Winterthur ist Teil des Gebäudekomplexes Neuwiesen; es wurde zu einer differenzierten Wohnlandschaft umgenutzt und um ein zusätzliches Attikageschoss erweitert.

Im Zug des städtebaulich optimierten Bahnhofareals entschieden sich die Eigentümer, daraus insgesamt 37 Wohneinheiten mit erstklassiger und gepflegter Ausstattung an urbaner, zentraler Lage zu machen. Der vorhandene heterogene Gebäudekomplex war dabei nicht weiter zu strapazieren, die komplexe Statik unveränderbar; die neu hinzugekommene Nutzung sollte aber trotzdem erkennbar gemacht werden. Diese knifflige Aufgabe löste das Architekturbüro Häberli Heinzer Steiger Architekten aus Winterthur mit einer präzis ausgeloteten Eingriffstiefe und einer stringenten Adaption des Bestehenden. Ein sanfter Strukturwandel also, der den Rückbau «bis auf die bleichen Knochen runter» – so die Architekten – zur Folge hatte, bis auf die Betontragstruktur und aussenliegenden Stützen. Struktur und Raster des Bürobaus gaben die Raumgliederung vor.
Die neuen Grundrisse bauen auf dem bestehenden Fassadenraster auf und kommen innerhalb der Wohnungen praktisch ohne Erschliessungsfläche aus, was die Nutzfläche erheblich erhöht. Sämtliche Wohnungen erschliessen sich über die beiden vorhandenen, peripher liegenden Treppenhäuser. Diese waren – der Lage über dem Einkaufszentrum wegen – nicht veränderbar. Die Architekten umgingen diese grundrisstechnische Hürde mittels zweier neu eingeführten, durchgehenden Korridore im 5. und 8. Geschoss, welche die Erschliessung der Wohnungen in der Gebäudemitte und dadurch sowohl Maisonette-Wohnungen wie auch zweiseitig orientierte durchgehende Wohnflächen ermöglichen. Die eigentliche Raumlandschaft zeichnet sich durch ineinandergehende offene Wohn- und Essbereiche aus, von denen die einzelnen zwei- bis dreiseitig verglasten Zimmer direkt erreichbar sind. Die Haupträume richten sich auf mehrere Seiten aus. Neue Loggien erweitern diese, bilden je nach Wohnlayout geschützte Aussenräume (die bestehenden Fassadenbetonbrüstungen durften aus statischen Gründen nicht aufgebrochen werden) oder funktionieren als eingestellte «Module».
Der neue Dachaufbau aus vorfabrizierten Holzelementen ersetzt die ehemals ganz oben angelegte Technikzentrale, stärkt das Volumen und weist es als neues Wohngebäude aus. Die vorhandenen Aluminiumelemente der Fassade waren in gutem Zustand. Gereinigt, hinterlegt mit einer verstärkten Dämmung und am selben Ort wieder montiert, bilden sie auch die neue Haut und prägen somit weiterhin die äussere Gestalt. Zugleich machen insbesondere die Loggien – zusammen mit den farbigen Fenstern, Stoffstoren und den Pflanzentrögen des Attikageschosses – das Volumen als Wohnhaus neu lesbar. Die Gebäudegeschichte erzählt sich mit dieser dezent umgewandelten Gestalt architektonisch weiter, und zugleich bewahrt die Umnutzung den Gebäudekern. Wo vormals gearbeitet wurde, breitet sich nun eine subtile Wohnlandschaft aus – mit Blick über den Bahnhof und die Altstadt. Eine Umwandlung von Büro- in Wohnraum, die als eine der grössten – sicher aber schweizweit zentralsten – ihrer Art bezeichnet werden kann; exemplarisch stehend für Erhalt und Weiterverwertung von bestehender Bausubstanz – mit allen damit einhergehenden Chancen und Risiken.
Statik unf Gebäudetechnik
Das Tragsystem des Gebäudes – mit relativ wenigen Stützen im Gebäudeinneren und vor der Fassade sowie mit schwach bewehrten Decken – war nicht für eine Wohnnutzung ausgelegt. Jede Änderung im statischen System, jeder Durchbruch war eine Herausforderung. Leichtbauwände wurden für den Innenausbau eingesetzt, da die notwendigen Wohnungs- und Zimmertrennwände nicht in Backstein oder Beton ausgeführt werden konnten. Auch die beiden peripheren Erschliessungen mit zwei Treppenhäusern funktionierten zwar für die Büronutzung, waren aber für eine Wohnnutzung weniger optimal. Der Einbau eines zusätzlichen Treppenhauses verbot sich aufgrund des Einkaufszentrums darunter.
Eine weitere Herausforderung bedeutete – trotz der neuen Gleisquerung – die hohe Lärmbelastung durch den Verkehr auf der Zürcherstrasse (Kantonsstrasse). Nur ein Drittel der Zimmer in den Wohnungen, die sich zur Zürcherstrasse ausrichten, dürfen strassenseitig gelüftet werden. Jede Wohnung muss zusätzlich einen Aussenraum zur lärmabgewandten Seite – also zum Innenhof hin – organisieren und zudem über eine kontrollierte Wohnraumlüftung verfügen. Die wärmetechnischen bzw. energetischen Optimierungsmassnahmen erfolgen innerhalb der bestehenden Hülle. Der neue Wohnraum verfügt über durchgehende Steigzonen und eine optimierte Haustechnik. Alle diese Massnahmen ermöglichen ausserdem die Minergie-Zertifizierung. ●
Bautafel
Bauherrschaft Siska Heuberger Holding AG, Winterthur
Architekt Häberli Heinzer Steiger Architekten, Winterthur
Bauleitung PRO. Architektur AG, Wiesendangen
Bauingenieur Anderes-Näf AG, Ingenieurbüro für Bauwesen, Kreuzlingen
HLKS-Ingenieur 3-Plan Haustechnik AG, Winterthur
Elektroingenieur Bitech AG, Engineering & Consulting, Effretikon
Bauphysik Zehnder & Kälin AG, Akustik und Bauphysik, Winterthur
Gleisquerung

Haupteingriff bei der städtebaulichen Optimierung rund um den Bahnhof Winterthur war die sogenannte «Gleisquerung» im Jahr 2016. Diese vernetzt die zentralen Punkte Bahnhofplatz, Sulzerareal, Arch-Areal und die Rudolfstrasse mit einem attraktiven Wegnetz für den Fussgänger- und Fahrradverkehr. Die baulichen Massnahmen und Niveauangleichungen ermöglichten dabei die Gestaltung eines grossen, verbindenden Platzes. Im Detail wurde das ursprünglich gewachsene Terrain wieder an das Gleisfeld der einst provisorisch im Jahr 1855 angelegten Station herangeführt. Der Schienenkorridor verschwand damit zwar nicht, wohl aber die breite, tiefe Schneise des Unterführungsbauwerks. So entstand ein Spielfeld, auf dessen Grundlage die Strassen-, Velo- und Fussgängerverbindungen neu organisiert werden konnten.










