Landschaftsarchitektur – Wir müssen starke Orte schaffen

Der Landschaftsarchitekt Christoph Fahrni vereint Wohnen und Arbeiten. Er sieht darin eine Möglichkeit des zukünftigen urbanen Zusammenlebens.

Landschaftsarchitekt
Schema des Projekts Sonnenhof Emmenbrücke. Es sucht den übergeordneten städtebaulichen Zusammenhang des Quartiers.
Von Uwe Guntern (Text) und Fahrni Landschaftsarchitekten (Pläne)
Der Landschaftsarchitekt Christoph Fahrni vereint Wohnen und Arbeiten. Er sieht darin eine Möglichkeit des zukünftigen urbanen Zusammenlebens.

Arbeiten und Wohnen in einer Stadt oder auf dem Land sind grundverschieden zu betrachten. Auf dem Land stellt sich die Frage gar nicht. Dort sind beide Bereiche viel selbstverständlicher zusammengefügt. In der Stadt müssen die Verhältnisse künstlich geschaffen und organisiert werden, während sie auf dem Land gewachsen sind. Hier das Wohnhaus und daneben der Arbeitsplatz, die Scheune. Auch das Feld ist meist in der Nähe. Es kommen daher die Menschen, oft auch heute noch in Grossfamilien, wie selbstverständlich zusammen.In städtischen Wohnüberbauungen ist die Problemstellung eine völlig andere. Über die Situation in den Städten unterhielten wir uns mit Christoph Fahrni. Er ist Gründer der Fahrni Landschaftsarchitekten GmbH. Das Büro entwickelt Landschaftsarchitektur in einem Spektrum, in dem es um Freiräume geht.

Der heutige Ansatz in Bezug auf ein Zusammenführen von Wohnen und Arbeiten unterscheidet sich grundsätzlich von der Raumplanung in früheren Zeiten, die Arbeiten und Wohnen strikt getrennt hat und in der die Gewerbezonen im Zonenplan festgelegt wurden – ohne Zusammenhang mit dem Ort und Schlafzonen ohne jegliches Leben entstanden.

Drei Erfolgsfaktoren

Für Fahrni gibt es drei wichtige Punkte, die man für Wohnen und Arbeiten-Projekte berücksichtigen muss.

Die Ansiedlung von Erdgeschoss-Nutzungen mit öffentlichem Charakter. Ohne sie gibt es kein öffentliches Leben. Stadtverwaltung, Investoren und Gebietsmarketing müssen eng zusammenarbeiten.

Eine gute öffentliche Erschliessung. Nur mit ihr kann ein Verkehrschaos verhindert werden. Hier wird die verkehrsgerechte Stadt nicht genügen. Wir benötigen für unseren Umgang mit der Mobilität radikalere Lösungen wie verkehrsfreie Innenstädte oder Radschnellwege. Wenn wir das Verkehrsproblem nicht lösen, dann sind die schönsten Projekte zum Scheitern verurteilt, denn die Lebensqualität ist dann gleich null.

Freiräume. Sie müssen mit Qualität entwickelt werden für ein öffentliches Leben mit öffentlichen Plätzen und Parkanlagen, die dann eine aktive Freizeitgestaltung ermöglichen. Freizeit muss vor der Haustür anfangen. Wir müssen den Menschen die Möglichkeit bieten, dass sie sich mit dem Ort identifizieren können, an dem sie wohnen, für ihre Naherholung, für die Pausen, das Mittagessen usw.

Zum letzten Punkt kommt noch eine Besonderheit hinzu. Bei Frei- bzw. Erholungsräumen sollen Bewohner ein Mitspracherecht haben. Die Menschen geben die unterschiedlichen Nutzungen und die Inhalte vor, nicht die Gestalter. Dies ist noch nicht oft praktiziert worden. «In der Zukunft», erläutert Christoph Fahrni, «werden Wohnen und Arbeiten ausserdem durch die veränderte Mobilität der Jugendlichen enger miteinander verbunden sein. Junge Menschen verzichten vermehrt bewusst auf das Auto und suchen sich einen kurzen Arbeitsweg. Dieses Verhalten wird die Situation in Zukunft markant verändern. Viele wollen zu Fuss oder mit dem Velo arbeiten gehen.»

Freiräume sind für die Menschen da

Für Fahrni ist bei der Konzeption von Wohnen und Arbeiten als Erstes auf die Nutzungsoffenheit zu achten. Es muss verschiedene Nutzungsmöglichkeiten geben. Dann ist die Umnutzbarkeit von Relevanz: «Die Verhältnisse müssen sich den veränderten Bedürfnissen anpassen können. Und schliesslich muss eine Überlagerung von verschiedenen Nutzungen möglich sein. Auf einem Platz kann zum Beispiel einmal ein Open-Air-Kino stattfinden, dann wieder ist er ein Fussballplatz oder einfach nur ein leerer Platz. Ohne derartige Überlagerungen entstehen einseitige Freiräume. Auch eine bestimmte soziale Dichte muss möglich sein. Freiräume sind für die Interaktion von Menschen da und dafür ist eine gewisse Dichte von Leuten notwendig, denn dort, wo niemand ist, will auch niemand hin. Um die soziale Dichte zu erreichen, müssen wir uns auf ganz strategisch gute Punkte und Orte konzentrieren und diese dann mit öffentlichen Nutzungen verdichten. Dann ist auch die Durchlässigkeit des Ortes ganz wichtig. Es braucht eine räumliche und zeitliche Zugänglichkeit und Vernetzung mit der Umgebung.»

Zudem gilt es zu beachten, dass der Freiraum ein Teil des Mobilitätsnetzwerks und der Logistik ist. Hier braucht es neben den Velofahrern und den Fussgängern zum Beispiel Platz für die Feuerwehr und die Warenanlieferung. «Ein weiterer Punkt,» so Fahrni, «ist die Widerstandfähigkeit der Gestaltung. Hierfür sind solide Konzepte, die auch kleine Veränderungen oder Umgestaltungen ertragen, notwendig. Dann ist natürlich die Aufenthaltsqualität von Bedeutung. Wir müssen erreichen, dass sich die Leute am Ort wohlfühlen und auch längere Zeit dort aufhalten.»

Zur Aufenthaltsqualität gehört auch das Klangverhalten von Raum und Oberflächen (Literaturhinweis: Vom Stadtraum zum Klangraum, ISBN 978-3-7281-3939-9). Ist der Klang eines öffentlichen Raumes schlecht, dann meiden die Menschen diesen Ort. Christoph Fahrni weist darauf hin, dass so etwas bisher überhaupt nicht berücksichtigt worden ist. «Dass die Menschen an bestimmten Orten einfach nicht bleiben, hat natürlich mit einen hohen Lärmpegel zu tun, aber auch mit der Art und Weise des Lärms, also dem Klangverhalten von Raum und Oberfläche, das bewusst gestaltet werden muss.» Hinzu kommen heute grosse klimatische Aufgaben, wie beispielsweise Frischluftschneisen, Begrünung oder Beschattung, damit die Städte sich nicht aufheizen. Natürlich ist auch die Fauna einzubeziehen, denn in jeder Stadt leben schliesslich Wildtiere. Farhrnis Schlussfolgerung lautet:

«Es ist einfach unsere Aufgabe, starke Orte zu schaffen. Orte, die wissen, was sie sein sollen.»

Im Folgenden stellen wir ausgesuchte Projekte der Fahrni-Landschaftsarchitekten vor:

Sonnenhof Süd, Emmenbrücke

Architektur: Matti Ragaz Hitz Architekten AG, Bern-Liebefeld

Das Projekt sucht den übergeordneten städtebaulichen Zusammenhang des Quartiers. Zur Ausformulierung der Hauptachse entlang der Gerliswilstrasse wird besonderes Augenmerk auf die Querbeziehungen in die Tiefe gelegt. Die Kirche wird als wichtiger Orientierungsort gelesen. Es werden neue verkehrsfreie Fussgängerachsen definiert. Die bestehenden Gartenstadtstrukturen werden weiterentwickelt und neu interpretiert. Die Sonnenhof-Siedlung wird in ihrer Bedeutung respektiert und räumlich gestärkt. Die neuen Freiräume weisen spezifische Qualitäten auf. Die breite Promenade mit Mischverkehr entlang von zentrumsbildenden Nutzungen lädt ein zum Einkaufsbummel. Der Platz mit einem Café wird zum Begegnungsort an wichtigen Kristallisationspunkten. Von da werden verschiedene Wege an eine Erschliessungsachse angebunden. Die Gärten mit privaten und halb öffentlichen Bereichen mit grosszügigen Spielflächen und Freizeitanlagen werden zum einzigartigen Naherholungsraum und Refugium für die Bewohner. Die Velos werden zu 70 Prozent für Langzeitparkierer in Garage und Keller untergebracht und zu 30 Prozent für Kurzzeitparkierer an oberirdischen Abstellplätzen. Die Gartenstadt ist sowohl konsequent urban als auch poetisch. Die Qualitäten des Ortes werden in den Freiräumen so umgesetzt, dass sie zur Identifikation mit dem Quartier in hohem Masse beitragen können. Die Nutzung der Freiräume ist vielseitig und gemeinschaftsfördernd. Die Einzelteile werden in einen neuen Zusammenhang gesetzt und verschaffen dem Quartier neue Impulse für die Zukunft.

Brünighof, Luzern

Architektur: Arge Höing Voney GmbH / peba Architekten AG, Luzern

Der lang gezogene Innenhof wird als urbaner Freiraum für die Naherholung der Wohnungen, Ateliers und Büros verstanden. Die Flächen sind in veredeltem Asphalt ausgeführt. Sie dienen der Erschliessung für Fussgänger und Velofahrer und können ausserdem für die Anlieferung genutzt werden. Aus dieser primären Erschliessungsebene erheben sich zwei geometrische prismatische Hügel bis auf 70 Zentimeter Höhe. Sie dienen in erster Linie als Wurzelraum für die darauf gepflanzten Eichenbäume. Die seitlichen Stützmauern können als Sitzbank genutzt werden. Der eine Hügel ist dem Restaurant zugewandt und ist begehbar. Die Oberfläche ist mit einem durchlässigen Belag abgedeckt. Der andere Hügel ist mehrheitlich mit Ziergräsern und Blütenstauden bepflanzt, was einem Garten ähnlich kommt. Die Beleuchtung erfolgt von den Gebäuden her.

Gartenhof Luzern-Littau

Architektur: Schärli Architekten AG, Luzern

Das Ziel ist die Entstehung eines lebendigen Quartieres im Sinne einer städtebaulichen Ergänzung von Luzern. Das bisher vorwiegend gewerblich genutzte Quartier soll zukünftig ausgewogen dem Wohnen und Arbeiten dienen. Daneben soll es Möglichkeiten zur Erholung und zur Knüpfung von sozialen Kontakten bieten. Dadurch erhofft man sich eine nachhaltig positive Auswirkung auf die Sozialstruktur des Stadtkreises Littau.

Der Innenhof zeigt sich in einer organischen Formensprache. Er thematisiert die Leichtigkeit und Ruhe eines Kiefernwaldes. Die welligen Hügel mit den üppigen Kiefern generieren verschiedene Rückzugsorte und Aufenthaltsqualitäten im Innenhof des Gebäudes. Der Platz ist urban gehalten und gliedert sich an den Strassenraum an. Die grosse Kiesfläche vereint sich mit den Baumscheiben der Luzernerstrasse. Die Silberlinden entlang der Strasse tanzen aus der Reihe auf den urbanen Platz und sind Schattenspender für das schlichte und präzis gesetzte Sitzelement auf der Fläche. Die mit Bambus bepflanzte Böschung bildet einen grünen Abschluss des urban gestalteten Platzes. Die Westseite des Gebäudes dient für die Anlieferung, die Entsorgung und zum Parkieren. Sie ist ohne Bäume gestaltet. Auf der Südseite begleitet eine Baumallee die Langsamverkehrsachse. Entlang der Ostseite verläuft eine Erschliessungsstrasse zum Nachbargrundstück. Die Aussenraumgestaltung entspricht der 2000-Watt-Gesellschaft mit lokalen natürlichen Materialien, effizienter Beleuchtung, geringem Pflegeaufwand, Schonung der Ressourcen und nachhaltigen Konstruktionen.

Tribschen, Luzern

Architektur: TGS Architekten AG, Luzern

Es soll ein von innen und aussen erlebbarer Freiraum entstehen. Der Innenhof liegt erhöht über der Einstellhalle. Mit seiner üppigen Bepflanzung soll er Ruhe in die Wohnungen, Büros und Ateliers bringen und einen erholsamen Garten für alle Bewohner bieten. Die Bepflanzung besteht aus verschiedenen Arten von Magnolien und Prachtstauden. Sie erzeugen eine exotisch anmutende Atmosphäre.

An den Zugängen zum Innenhof sind Aufenthalts- und Spielbereiche angedockt, wie sie auch in dem weiteren, schon gebauten Quartier anzutreffen sind. Sie sind wichtige Aussenräume zwischen den Blockbauten des Quartiers Tribschenstadt und bilden soziale Treffpunkte. ●

Christoph Fahrni
Christoph Fahrni ist Landschaftsarchitekt FH BSLA.
Landschaftsarchitekt
Visualisierungen: 3D-PEAK, Bern
Landschaftsarchitekt
Situation
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Landschaftsarchitekten
Brünighof, Luzern Foto: Fahrni Landschaftsarchitekten
Situation
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Landschaftsarchitekten
Visualisierung und Situationsplan der Siedlung Gartenhof Luzern-Littau: Fahrni Landschaftsarchitekten
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Schnitte
Schnitte der Siedlung Gartenhof Luzern-Littau
Tribschenstadt
Die Tribschenstadt in Luzern Visualisierung: Raumgleiter AG, Zürich, mit Anpassungen von TGS Architekten AG, Luzern
Situation
Situation
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