In allen Facetten
Mit dem neuen Atelierhaus in Thalwil verbindet das Atelier Burkhalter Sumi zusammen mit Archplan AG eindrucksvoll Wohnen und Arbeiten.
Das neue Projekt des Architektenpaars Marianne Burkhalter und Christian Sumi liegt in Bahnhofnähe, am Hang über dem See, zwischen dem alten Rebhaus aus dem 17. Jahrhundert und Mariannes Elternhaus an der Bahnhofstrasse. Auf dem abfallenden Gelände zwischen den beiden bestehenden Häusern war ehemals ein Obstgarten mit Hühnerstall und Waschküche. Das neue, dreistöckige Atelierhaus hat eine Holzfassade mit umlaufenden Fenstern und einer vertikalen Verschalung aus massiven, silberfarben gestrichenen Brettern mit roten zurückgesetzten Fugen. Die Holzlamellen vor den Fenstern gliedern die Stirnfassaden und reagieren auf die Nähe zur Bestandsbebauung. Das rautenförmige Faltdach reduziert die Gebäudehöhe und vermittelt durch die auskragenden Loggien zwischen den beiden Nachbarhäusern. Die Verjüngung der Giebelfronten reduziert die neun Meter breite Front um zwei Drittel. Für die beiden angrenzenden Häuser bringt dies Seeblick und Sonne. Die innere Tragstruktur ist aus Brand- und Schallschutzgründen in recyceltem Beton ausgeführt. Die vorgefertigten Fassadenelemente sind als Pfosten-Riegel-Konstruktion ausgeführt, die Decken und das aufgesetzte Faltdach, das weder Streben noch Unterzüge benötigt, mit CLT-Platten.
Als Haus der Kommunikation konzipiert, allseitig und nach oben offen, wirkt es transparent und einladend, mit drei Eingängen auf zwei unterschiedlichen Ebenen. Über den gemeinsamen Vorplatz sind die Wohnung und das Atelier im Erdgeschoss erreichbar, über eine Treppe auch die beiden Wohnungen im ersten Stockwerk. Der zweite, seeseitige Zugang Richtung Rebhaus führt über den privaten Vorplatz zu den beiden Ateliers im Gartengeschoss und der kleinen Wohnung im Obergeschoss. Der dritte, seitliche Zugang ist rollstuhlgängig und führt direkt zum Lift.
Der Rundgang auf der Baustelle vermittelt spannende Architektur, gepaart mit temperamentvoller Innenarchitektur. Verblüffend ist bereits der erste Eindruck beim Anblick der langen gelben Treppe, das Rückgrat und Herzstück des Hauses. Marianne Burkhalter erklärt: «Gelb musste sein, man tritt in die Sonne.» Diese elegante gelbe Stahltreppe ermöglicht diagonale Durchblicke über die drei Geschosse. Das Untergeschoss ist über eine Galerie in den Treppenraum integriert. Schräg gestellte, vollflächige Spiegel erweitern den Raum zu einem visuell «kommunikativen» gemeinsamen Erschliessungsraum.
Die Wohnungen und Ateliers können einzeln oder zusammen vermietet werden, alle Einheiten verfügen über zwei Eingangstüren. Dies erhöht die Flexibilität und Nutzbarkeit der Wohnungen. Zusammen mit dem Wohnungsangebot im benachbarten Gebäude an der Bahnhofstrasse ergibt sich so eine Vielfalt unterschiedlichster Typologien für Wohn- und Arbeitsgemeinschaften.
«Innenarchitektur ist Architektur»
Das mit bereits mehrfach gebrauchten, silbrig schimmernden Holzbrettern verschalte Haus hat einen hohen Isolationswert und gibt Gegensteuer zu den schönen geschliffenen Betonwänden. Gebrauchsspuren wie Nägeleinschüsse verleihen der Verschalung sowie dem polierten Beton ein lebendiges Aussehen. In allen Wohnungen sind Küchen und Wandschränke aus Holz eingebaut, die Badezimmer mit rechteckigen «Metro»-Fliesen versehen, farblich dominieren Rot und Grün. Dicke sonnengelbe Vorhänge markieren das raumtrennende Bad-Schrank-Element im grossen Loft im Dachgeschoss, das anstelle einer Dachterrasse mit zwei gedeckten Loggien überrascht.
Denkt man an Architektur von Burkhalter & Sumi, denkt man an Farbe. «Farbe verändert jeden Raum komplett, immer wieder, auch nachträglich. Wir waren immer froh, Bauherrschaften zu haben, die mit uns dieses Wagnis eingingen», sagt Marianne Burkhalter. Im Atelierhaus erinnern die Farben an Le Corbusier, an Bauhaus auch, sie lehnen sich jedoch an die von Arthur Rüegg 2016 neu herausgegebene «Polychromie architecturale» (Le Corbusiers Farbklaviatur) an. Daraus konzipierte Marianne Burkhalter – für sie sind Farben in ihren Projekten unverzichtbar – quasi eine eigene Farbenlehre, denn die Zonierung mittels Farben spiele eine ebenso grosse Rolle wie der Einsatz bestimmter wiederverwendbarer Materialien und Oberflächen sowie das Licht im Raum.
Die Pionierleistungen der Architektin und des Architekten im modernen Holzbau sowie die Beherrschung der in der Architektur und Innenarchitektur vorhandenen Gestaltungselemente beeindruckte auch die Jury des Prix Meret Oppenheim 2024, bekannt als «Grosser Schweizer Kunstpreis». Die hochkarätige Auszeichnung wurde Marianne Burkhalter und Christian Sumi im Rahmen der Eröffnung der Ausstellung «Swiss Art Awards» während der ART-Woche in Basel verliehen.
Burkhalter und Sumi sagen dazu: «Als wir Mitte der 1980er-Jahre unser gemeinsames Büro gründeten, sind wir mitten in der Postmoderne gelandet. Uns gefällt jedoch das Dazwischen und jedes Projekt hat ein eigenes Narrativ. Und Architektur ist immer Teamarbeit.» Das zeigt sich auch in ihrem neuesten Werk, dem Atelierhaus, das in Arbeitsgemeinschaft mit der Archplan AG gebaut wurde.
2021 übergaben sie ihr Büro an ihre Mitarbeiter Yves Schihin und Urs Rinklef, die es nun unter dem Namen «Oxid Architektur» weiterführen. Die über hundert handgefertigten Modelle für Projekte und Lehre wurden ins Institut für Geschichte und Theorie der Architektur (Gta) der ETH Zürich aufgenommen und können dort besichtigt werden.
Marianne Burkhalter und Christian Sumi wurden im Juni mit dem Prix Meret Oppenheim 2024 für ihr Lebenswerk geehrt. Auch ihr neues Atelierhaus in Thalwil hat alle Merkmale ihrer architektonischen Kompetenz: moderner Holzbau, Farbe, Transparenz.