Gegen Widerstände
Kurze Zeit nach Fertigstellung eines Gebäudeensembles in Nordkalifornien wurde die Region von einem Waldbrand heimgesucht. Während das Haupthaus Schaden nahm, blieben die Gästehäuser unversehrt. Mork-Ulnes Architects schufen ein neues Haupthaus, das der Gefahr künftiger Waldbrände besser standhalten soll. Als zeitgenössische Neuinterpretation der modernistischen Architektur schafft das Gebäude ein Gleichgewicht zwischen Extro-und Introvertiertheit.
Von Paola Giaconia (Text) und Bruce Damonte (Bilder)
An einem idyllischen Platz in den amerikanischen Sonoma Hills hatte die Bauherrschaft aus San Francisco den perfekten Rückzugsort für Familie und Freunde gefunden. Im Jahr 2016 beauftragte sie Mork-Ulnes Architects mit dem Entwurf eines kompakten Gästehauses mit drei Schlafzimmern, welches das Haupthaus ergänzen sollte. Kurz nach der Fertigstellung des Gästehauses wurde das Grundstück von einem Waldbrand heimgesucht. Die bewaldete Schlucht und die darüberliegenden Hügel wurden verwüstet, aber das Gästehaus aus Beton überstand das Ereignis. Nach dieser Naturkatastrophe wollte die Bauherrschaft wieder in das Land investieren. Sie beauftragte erneut Mork-Ulnes Architects mit dem Entwurf des Haupthauses. Das Anwesen ist Teil der Wiederaufbaumassnahmen nach dem «Nuns Fire» von 2017–einer beispiellosen Wiederherstellung, die mit Entschlossenheit von der Gemeinschaft initiiert und durch eine vereinfachte Bürokratie erleichtert wurde. Alle Bauherrschaften, die von dem Waldbrand betroffen waren, waren sehr besorgt hinsichtlich des Brandschutzes und bestanden von Anfang an auf feuerfesten Baumaterialien. «Das Konzept bestand darin, ein Haus ganz aus Beton zu entwerfen, das von Holz umhüllt ist und das eine Anspielung auf die traditionellen Bauernhofstrukturen in der Gegend darstellt–sodass sich die Materialität trotz der Betonstruktur immer noch so anfühlt, als würde sie zu einem nordkalifornischen Haus passen», sagt der Architekt Casper Mork-Ulnes.
Kombination von Modulen
Die Planenden entwarfen eine einfache zweistöckige Betonstruktur, die auf einem dreidimensionalen Raster basiert. Das Haus steht fest auf einem Plateau, das von bewaldeten Hängen umgeben ist, und befindet sich direkt über dem Poolbereich sowie den bereits fertiggestellten Gästehäusern aus Beton.
Das Haus ist auf einem strukturellen Raster aufgebaut, das auf keinem festen Mass basiert, sondern durch eine Kombination von Modulen gekennzeichnet ist, die in ihrer Breite leicht variieren und je nach Funktion der dahinterliegenden Räume entweder mit Glas-oder Holzwänden ausgefüllt sind. Das modernistische Raster erhält auf diese Weise eine eigene Eleganz und die Fähigkeit, die Beziehung zwischen innen und aussen zu interpretieren. Das Gitterwerk trägt eine Loggia, die Schatten vor der warmen kalifornischen Sonne spendet und die Funktion des dreidimensionalen Rahmens des Gebäudes erweitert.
Sinn für Offenheit
Das Gebäude behauptet seine Autonomie durch eine zeitgenössische Neuinterpretation der modernistischen Architektur, die in Kalifornien insbesondere durch das von John Entenza in den 1940er-Jahren geförderte Case-Study-Programm besonders produktiv war. Die Strenge des Modernismus wird durch die Wärme der hölzernen Ausfachungen gemildert, die an die lokale ländliche Bauweise erinnern. Der Rhythmus der vertikalen Elemente und der Wechsel zwischen der Undurchsichtigkeit der Wände und der Transparenz der Fenster verstärken den Eindruck einer grafischen Abstraktion. «Da ich sehr lang in Kalifornien gelebt habe, bin ich von den Modernisten der Westküste–Koenig, Neutra, Ain und ihren Zeitgenossen–beeinflusst. Diese Häuser mit ihrem Sinn für Offenheit erforschen Fragen von Licht und Raum, die auch für mich von grundlegender Bedeutung sind; als Norweger fühle ich mich immer von der psychologischen Bedeutung von Licht und Luft in der Architektur angezogen», sagt der Architekt. Als Antwort auf den Wunsch der Bauherrschaft, jeden Raum mit Zugang und Ausblick zum Aussenraum zu gestalten, verfügt das Haus über drei flankierende öffentliche Räume im Erdgeschoss und eine zentrale Treppe.
Rhythmisches Muster
Obwohl das Gästehaus des Anwesens eine reine Betonkonstruktion hat, wollte die Bauherrschaft dennoch die Wärme des Holzes im Aussen-und Innenbereich des Hauses spüren. Die vollständig feuerfeste Betonhülle wurde deshalb mit einer Schicht aus westlicher roter Zeder verkleidet, um eine Anspielung auf die landestypische Agrararchitektur in der Region zu machen und die visuelle Wirkung auf das Grundstück zu mildern.
«Eine tiefe Loggia und ein sich wiederholendes Säulenraster bilden die Struktur des Hauses. Die Loggia bietet sowohl eine Pause von der heissen Sonne Sonomas als auch ein rhythmisches Muster, das die Ordnung und den Rahmen für das Haus vorgibt. Die Gitterstruktur definiert die introvertierten oder extrovertierten Bereiche des Hauses, je nachdem, ob sie mit Glas oder einer massiven Wand ausgefüllt sind», so Casper Mork-Ulnes.
Die nördliche, östliche und westliche Fassade des Gebäudes wird durch grosse Glasöffnungen definiert, die ein Gefühl der Kontinuität zur äusseren Umgebung ermöglichen sowie reichlich natürliches Licht in die Innenräume eindringen lassen. Tiefe Betonüberhänge schirmen die Fenster entlang der Ostund Westfassade bei starker Sonneneinstrahlung ab, während die Südfassade völlig undurchsichtig ist. Auf diese Weise entsteht auf beiden Ebenen des Hauses ein ausgewogenes Verhältnis zwischen natürlichem Licht und Schatten.
Alle Materialien, die der natürlichen Umgebung ausgesetzt sind, sollen der Gefahr von Waldbränden widerstehen: Betonstruktur, Betonmauerwerk, Zementplatten und nicht brennbares Dachmaterial wurden für die Aussenverkleidung gewählt. Die Fenster sind aussen mit Metall und innen mit Holz verkleidet. Eine Sprinkleranlage ist im gesamten Innenbereich integriert, eine Solaranlage sowie ein Batteriesystem für die Stromerzeugung und eine Wasserpumpe sind ebenfalls Teil der gebäudetechnischen Einrichtungen.
Kühn und lässig
Das Innere des Hauses ist um einen Raum mit doppelter Höhe über der Küche organisiert, der die beiden Etagen miteinander verbindet und von einer Treppe unterbrochen wird, die zu den beiden Schlafzimmern im Obergeschoss führt. Die Schlafzimmer sind mit gestrichenen Gipskartonwänden, Holzböden und-türen ausgestattet. Hölzerne Wandleuchten erinnern an das kalifornische Handwerksdesign der Jahrhundertmitte. Die mit warmem, geschliffenem, cremefarbenem Kalkstein verkleideten Bäder sind mit hölzernen Waschtischen und Spiegeln ausgestattet–umrahmt von hölzernen Rippen in Anlehnung an die Küchenschränke und die Fachwerkarchitektur. Alle Schlafzimmer und Bäder haben direkten Zugang zu den grosszügigen Aussichtsplattformen über der Loggia, von wo aus die Bauherrschaft und ihre Gäste den weiten Blick auf das Sonoma-Tal und den bewaldeten Canyon unter ihnen geniessen können.
Die vom Büro Charles De Lisle entworfene Inneneinrichtung und die dekorative Beleuchtung ergänzen die minimalistische Architektur um kräftige Farben. Grosse Sofas mit Schlupfbezügen werden im Wohnzimmer mit einfachen Sperrholztischen kombiniert und auf einem quadratischen Flachgewebeteppich angeordnet. Ein kühner Esstisch, der von lässigen Regiestühlen umgeben ist, schafft einen einfachen und unbeschwerten Essbereich in der Mitte des Raums. Diese Gruppierungen widerspiegeln die Symmetrie und den Massstab der Architektur und tragen gleichzeitig zum entspannten Gefühl eines Wochenendausflugs bei.
Stets betriebsbereit
Tiefe Überhänge und strategische Verglasungen sorgen für natürliche Beschattung und ein hohes Mass an Tageslicht im gesamten Haus. Das schlanke Volumen des Hauses ermöglicht eine umfangreiche Querlüftung mit symmetrischen Öffnungen auf beiden Seiten. Die thermische Masse der Betonplatte dient in Kombination mit der Strahlungsheizung zur Erwärmung des Hauses im Winter. Eine Photovoltaikanlage auf dem Grundstück gleicht den gesamten Stromverbrauch des Hauses über das ganze Jahr hinweg aus und nutzt Pufferspeicher, um das Haus bei einem Stromausfall betriebsbereit zu halten. Gleichzeitig liesse sich im Notfall damit die Sprinkleranlage zum Schutz des Gebäudes betreiben, falls das erforderlich sein sollte. Das Grundstück hat keinen Anschluss an die Kanalisation und das Wassernetz, sondern verfügt über einen eigenen Brunnen und eine eigene Kläranlage. Durch die Planier-, Entwässerungs-und Bepflanzungsstrategien wird die ursprüngliche Topografie des Grundstücks erhalten, Erosion verhindert und das Regenwasser in ebenerdige Versickerungsgruben abgeleitet. Die gesamte Bewässerung erfolgt aus einem Brunnen vor Ort.
Die von dem in San Francisco ansässigen Büro Surface Design entworfene Landschaft umfasst einheimische Stauden mit geringem Wasserverbrauch wie Hirschgras, Riesenkettenfarn, Kaffeebeere, Manzanita und Toyon, die auf dem gesamten Grundstück verwendet werden, um Lebensraum für einheimische Vögel und Insekten zu schaffen und gleichzeitig den Wasserverbrauch zu minimieren. Vier Buckeye-Bäume–eine Schlüsselart für einheimische Schmetterlinge und Falter, darunter der Pazifische Azur-und der Orange-Tortix-Falter–wurden beim Bau des Haupthauses vor Ort gepflanzt. Um den felsigen Boden zu stabilisieren und mit Nährstoffen zu versorgen, wurden ausserdem einheimische Gräser und Wildblumen auf dem Grundstück angesät.