Für eine Architektur der echten Klarheit und Musikalität
Die Zeichen der Zeit stehen auf Umdenken. Das gilt auch für die Architektur. Für sie bedeutet es, die Kontinuität der Baukunst, die seit jeher von Mass und Wert diktiert worden ist, organisch weiterzuführen und keineswegs, wie dies oft der Fall ist, abzubrechen.

Es gilt, die «Mutter der Künste» neu in einer Kontinuität zu gebären. Das heisst, wir benötigen dringend eine lebendige, ästhetische Architektur der Zurückhaltung und der Bescheidenheit. Die daraus erwachsene Spannung zwischen Klarheit und Musik kann den Lifestyle-humanen Faktoren der heutigen Bauweise ganz neue und unvorhergesehene, organische Lebensimpulse geben.
Für die Zukunft benötigen wir eine neue zeitgenössische Architektur mit vernakularen Attributen. Die meisten Menschen sind zwar keine Bauern mehr, doch wenn wir keine Hirten und kein Wasser mehr haben, sind wir nicht reich, sondern arm im Geist. Eine verständnisvolle, empfindsame Filigranität wäre durchaus für Wohnbaustrukturen von Notwendigkeit. Diese Empfindung müsste auch übertragen werden und beim Bau zum Beispiel von «High-Rise»-Wohntürmen, Atruimsiedlungen oder «unità di abitazione» mit einbezogen werden. Dank tiefen Nischen und hängenden Gärten ist es dann möglich, sich auch in der 19. Etage so zu fühlen, als sei man im Erdgeschoss.
Eine andere Möglichkeit sind langgezogene, aneinander gebaute Siedlungen, die äusserst flexibel in den Nutzungsmöglichkeiten sind.
Die Bedeutung der urbanen Architektur muss heute und in Zukunft viel mehr propagiert werden. Diese Forderung ist nicht neu, dem Ruf nach «New Towns», nach neuen Städten, ist in der Vergangenheit schon Folge geleistet worden.
In Grossbritannien wurden von der «Initiative Ebenezer Howard two Garden Cities» Letchworth und Welwyn als Gartenstädte realisiert. Und über Elizabeth B. Mitchell, die 1865 in Edinburgh geboren wurde und dort auch an ihrem 100. Geburtstag starb, darf man sagen, dass sie faktisch ein Leben lang mit der Idee der «New Towns» verheiratet war. Sie empfand «Georgian Edinburgh», wo sie aufwuchs, als wunderbareren Ort. Erst später realisierte sie, dass es ein Ort war, entstanden durch sorgfältige Planung. Weiter fragte sie sich: «Warum sind Dörfer schöne Orte und grössere Städte oft hässlich?» Natürlich ist eine Stadt etwas anderes als ein Dorf; aber sie könnte auch als lebenswerter Ort gestaltet sein. Mitchell begutachtete mit einer Delegation aus Schottland die beiden Londoner Gartenstädte und schrieb danach: «Ich könnte sterben, wenn wir eine ‹New Town› in Schottland bauen könnten.» Ihr Wunsch wurde erfüllt. East Kilbride wurde später die erste «New Town» Schottlands und «glücklicher Satellit» von Glasgow.
Viele «New Towns» wurden in der Nachkriegszeit gebaut. Beispiele sind Cwmbran bei Cardiff oder Harlow und Stevenage bei London. Der Hauptgrund, dass sie realisiert wurden, war zum einen, dass namhafte Politiker wie Sir Patrick Abercrombie und Lord Raglan sich dafür einsetzten. Zum anderen waren Innovation und sogar utopische Anarchie die ausschlaggebenden Impulse.
Lebenswerte Wohnzellen
In meinem ebenfalls utopischer Masterplan für «Biasca New Town» handelt es sich um eine teilweise Erhaltung mit Regeneration von alter, bescheidener vorhandener Bausubstanz, die in Konfrontation mit geplanten Neubauten kontrastiert wird. Dieser Vorschlag will ein Beispiel sein, wie die schleichende Verbauung der Schweiz aufzuhalten ist.
Einige meiner in der Schweiz gebauten Einfamilienhäuser – auch diejenige, die Ateliercharakter haben – sehe ich als Erfahrung im Sinne lebenswerter Wohnzellen. Sie können somit für grössere Siedlungsstrukturen eine Grundlage sein. Es sind dies ein Einfamilienhaus in Uetikon am See, ein Atelierhaus in Bülach sowie eines in Weinfelden. Als Gegenentwurf zur Unbewohnbarkeit der meisten Wohnblöcke in der Schweiz sind dringend neue abenteuerliche, fantasievolle Konzeptionen im Sinne eines lebendigen, ökonomischen Siedlungsbaus notwendig. Das heisst ökonomische Planung, die zugunsten einer Architektur der echten Klarheit und Musikalität auf übertriebenen Luxus verzichtet. ●



