Erfolgreiche Klimapolitik

Seit 1991 zeichnet das Label Energiestadt Ortschaften aus, die sich für erneuerbare Energien, Energie­effizienz, Klimaschutz sowie umwelt­verträgliche Mobilität besonders engagieren. Energiestadtberater Reto Rigassi gibt Auskunft über die Tätigkeiten des Träger­vereins Energiestadt und die Bedeutung der Holz­energie für das Label.

Energiestadt Klimapolitik
Energiestädte nutzen das Holz für eine starke Klimapolitik.

Von Christoph Rutschmann (Text) und Reto Rigassi, Christoph Rutschmann (Bilder)

«Der Trägerverein Energiestadt versteht sich als Kompetenzzentrum für lokale Energie- und Klima­politik in der Schweiz. Er begleitet Städte und ­Gemeinden auf ihrem Weg zum Netto-Null-Ziel, also zur Klimaneutralität», erklärt Reto Rigassi. Damit macht Energiestadt die eher abstrakte Schweizer Energiestrategie 2050 für die Bevölkerung sicht- und erlebbar. Energiestadt stellt in den vier Hauptbereichen erneuerbare Energien, Energieeffizienz, Klimaschutz und Mobilität ein Paket mit zahlreichen konkreten Handlungsmöglichkeiten zur Verfügung. Daraus können die für eine nachhaltige Energie- und Klimapolitik relevanten Akteure Handlungsspielräume für ihre Ortschaft ableiten. Seit Bundesrat Adolf Ogi 1991 Schaffhausen als erste Energiestadt auszeich­nete, hat sich die Idee zu einem grossen Erfolg entwickelt. Heute schmücken sich rund 470 Ortschaften mit dem Label. Etwa 60 Prozent der Schweizer Bevölkerung leben heute in einer Energiestadt.

Handlungsspielraum ausnutzen
Damit eine Ortschaft das Label Energiestadt bekommt, muss sie den vorhandenen Handlungsspielraum um mehr als die Hälfte ausnutzen. «Zum Beispiel eine Energieplanung erstellen, Energienetze, insbesondere Wärmeverbünde realisieren, mit eigenen Gebäuden Vorbild sein, Strom sparen, den Fussgänger-, den Velo- und den öffentlichen Verkehr sowie kluge Mobilitätskonzepte fördern. Ortschaften können ausserdem Bewilligungshürden beseitigen und Förderprogramme für Gebäudebesitzer, zum Beispiel beim Ersatz fossiler Heizungen, ins Leben rufen», beschreibt Reto Rigassi.

Ist eine Ortschaft einmal ausgezeichnet, erfolgt alle vier Jahre eine Neuzertifizierung. Die Anforderungen werden aufgrund des technischen Fortschritts laufend anspruchsvoller. Gemeinden oder Städte, die besonders viel machen und mindestens drei Viertel des vorhandenen Handlungsspielraums ausnutzen, erreichen den Goldstandard des Labels.

Energiestädte spornen sich gegenseitig an
Ein weiteres wichtiges Element des Labels ist der regelmässige Austausch von Erfahrungen. Die Energiestädte lernen sehr viel voneinander. Die systematische Auseinandersetzung mit den Themen spornt die Beteiligten zu Höchstleistungen an. Energiestadt bündelt die interessierten Kräfte und arbeitet interdisziplinär. Zum Beispiel werden Schulgemeinden, grössere Industriebetriebe, der Forstdienst, Gewerbevereine, Verkehrsdienstleister, Energieversorger, die Bürgergemeinden und andere in die Umsetzungsmassnahmen einbezogen. «Je konkreter die Massnahmen sind, desto intensiver und meist auch erfolgreicher ist die Zusammenarbeit», erläutert ­Reto Rigassi und ergänzt: «Erfolg ist nur dann möglich, wenn alle relevanten Kräfte mitmachen. Die Energiestädte legen deshalb grossen Wert darauf, interessierte Kreise und die Bevölkerung aktiv einzubeziehen.»

Der Bereich Beheizung von Gebäuden ist überall ein wichtiges Handlungsfeld, da Öl- und Gasheizungen immer noch rund die Hälfte aller CO₂-Emissionen verursachen. Eine Option, mit einer einzigen Massnahme viel zu erreichen, ist der Bau von holzbeheizten Wärmenetzen. Ein solches Projekt ersetzt viele Einzelheizungen und schafft Möglichkeiten für den Absatz von Holz aus dem eigenen Wald.

Holzenergie ist wichtig für das Label Energiestadt
Holzenergie spielt in vielen Gemeinden bei der Erlangung und der Erhaltung des Labels eine wichtige Rolle. Gemäss der Schweizerischen Holzenergiestatistik von 2020 gibt es in der Schweiz 1635 (1990 erst 145) Holzschnitzelheizungen mit mehr als 300 Kilowatt Leistung. In dieser Zahl sind die 615 (1990 erst 375) Anlagen grösser als 300 Kilowatt Leistung der holzverarbeitenden Betriebe nicht mitgezählt. Viele Anlagen versorgen via Wärmenetze ganze Quartiere oder Ortschaften mit einheimischer, CO₂-neutraler Wärme. Seit es Energiestadt gibt, hat sich die Zahl der grösseren Holzschnitzelheizungen also vervielfacht. Bei der Definition der Handlungsfelder auf dem Weg zur Energiestadt und bei der Realisierung der Umsetzungsmassnahmen konnten seit 1991 Hunderte von Ortschaften ihre Holzenergieprojekte in die Waagschale werfen und damit oft einen wichtigen Teil des Labels realisieren. «Holzenergie und Energiestadt sind somit wie Geschwister oder Geschäftspartner, die sich zuverlässig, erfolgreich und über lange Zeit vorbildlich unterstützen und ergänzen», sagt Reto Rigassi erfreut.

 

Energiestadt Klimapolitik
Reto Rigassi, Leiter des Bereichs Katalog und Prozesse bei der Geschäftsstelle des Trägervereins Energiestadt, Energiestadtberater in der Nordwestschweiz, liefert zu den nachfolgenden Fragen weitere Informationen zu der Thematik.

Holzenergie Schweiz: Die Klima­erwärmung schreitet schnell voran, der Ausstieg aus den fossilen Energien hingegen läuft zu langsam. Es zeichnet sich ab, dass die Schweiz ihre Klimaziele verfehlt. Wie verhält sich Energie­stadt unter diesen Rahmen­bedingungen, was muss geschehen, was sind die Aktivitäten, um die Ziele zu erreichen?
Reto Rigassi: Energiestadt konzentriert sich auf Aktivitäten vor Ort in den Städten und Gemeinden. Es braucht für eine erfolgreiche Arbeit breite Allianzen. Der Ausstieg aus den fossilen Energien ist dabei ein Kernthema. Bei den Goldlabels ist der Ausstieg bis 2050 eine Anforderung. Einzelne Städte wollen noch schneller sein. Energiestadt prüft, ob die Städte auf Kurs sind. Zudem wurde ein Instrumentarium zur Anpassung an die unvermeid­liche Klimaerwärmung entwickelt, wie Gestaltung des öffentlichen Raums, Massnahmen gegen Hitze­inseln, Anpassung der Gebäude oder Tourismusstrategien.

Energiestadt arbeitet interdisziplinär und umfasst Massnahmen zugunsten erneuerbarer Energien und der Energieeffizienz in vielen Bereichen. Wie erleben Sie die Zusammenarbeit aller Akteure, von der öffentlichen Hand über Organisationen und Verbände bis zur Industrie und zu Privaten, wo gibt es Verbesserungspotenzial?
Eine grosse Herausforderung ist es, das Gewerbe und die breite Bevölkerung mitzunehmen. Wir wünschen uns manchmal etwas mehr Mut auf allen Ebenen. Es gibt bereits viele gute Bei­spiele und Vorbilder, die zeigen, dass sich Mut auszahlt. Ob Begegnungszonen oder Holznahwärmenetze: Projekte erleben anfangs oft viel Opposition, man sieht mehr die Risiken als die Chancen. Werden die Projekte dann schliesslich realisiert, sind fast alle stolz darauf.

Wie wichtig ist die Holzenergie für das Label Energiestadt?
Holzenergie ist zentral wichtig, weil sie musterhaft die erwünschte Kreislaufwirtschaft zeigt, eine hohe lokale und regio­nale Wertschöpfung erzeugt, das Holz vor der eigenen Haustür nachwächst und breiteste Bevölkerungskreise interessiert. Zudem akzeptieren alle politischen Lager die Holzenergie, da fast alle einen Bezug zu Wald und Holz haben. Es gibt kaum eine andere Massnahme oder Chance, die auf einem breiteren Konsens basiert.

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