Corporate & Retail Architecture – Chancen für den Wandel im Handel
Die Frage nach der Weiterentwicklung der europäischen Stadt steht bei Caspar Schmitz-Morkramer im Fokus. Sein neuestes Projekt: ein Lab-Report zum Thema «retail in transition».

Der New-Work-Campus Cule
Das Büro Caspar Schmitz-Morkramer stellte sich diese Fragen auch bei der Revitalisierung der Treptowers für Officefirst, die deutsche Asset-Management-Plattform der Blackstone-Gruppe, in Berlin. Direkt am Ufer der Spree liegt der 140 000 Quadratmeter große Bürokomplex neben der monumentalen Skulptur «Molecule Man» und ist schon von Weitem sichtbar. Vernetzung als Stichwort der Zukunft sollte für den New-Work-Campus Cule eine große Rolle spielen. So startete schon die Konzeptphase mit einem ungewöhnlichen Schritt: einer Tour nach Kalifornien ins Silicon Valley mit anschließendem Workshop der Architekturbüros Rios Clementi Hale Studios aus Los Angeles, der Landschaftsarchitekten Topotek1 aus Berlin und des Teams von Caspar Schmitz-Morkramer.
Bestimmend wurde für die Teams das Thema «break the fortress». Die einst geschlossenen, schachtartigen Höfe werden geöffnet und durch den Rückbau des Erdgeschosses und des ersten Obergeschosses in einen öffentlichen Raum verwandelt. Ein 10 000 Quadratmeter großer Campus wird etabliert, der mit Gastronomie, Einzelhandel und außergewöhnlicher Gebäudegestaltung eine deutliche Einladung ausspricht.
Darüber hinaus fungiert er als Verbindung zwischen der Stadt und dem Ufer der Spree. Bei der Ausarbeitung dieser zunächst radikal erscheinenden Idee zeigte sich, wie wandelbar das Haus ist, das früher wie eine Festung wirkte.
Die Architektur macht die Veränderung mit und erweist sich zudem als hoch flexibel. «Faszinierend war, das geschlossene Haus zu einem geöffneten, vernetzten Element umzudenken», sagt Caspar Schmitz-Morkramer rückblickend.
Seine größte Öffnung erfährt «Cule» auf der Flussseite. Der jahrelang mit einer Mauer verschlossene Zugang zur Spree wird durch eine 170 Meter breite Freitreppe inszeniert. Kleine Sitzgelegenheiten auf der Treppe laden zum Bleiben ein. So wird Offenheit und Lebensqualität inmitten der Stadt geschaffen und den Menschen Freiraum zurückgegeben. Auch für den nahe gelegenen Treptower-Park, der als Erholungsfläche an den Wochenenden an Bedeutung gewinnt, schaffen die Treptowers durch ihr kulinarisches Angebot einen Mehrwert. «Cule» hat einen besonderen Nerv getroffen, weil es im Bereich der Revitalisierung und Öffnung derzeit kein vergleichbares Gebäude in Deutschland gibt», so Schmitz-Morkramer.
Die Ulmer Sedelhöfe
Die Stadt zu öffnen und weiterzubauen, stand auch bei den Sedelhöfen in Ulm im Fokus. Gemeinsam mit den Bauherren DC Developments / DC Values entstand ein attraktives Eingangstor in die Ulmer City, das der Stadt mit einer Gesamtfläche von 80 000 Quadratmetern neue Identität und städtebauliche Bedeutung verlieh. Die Besonderheit ist, dass es hier keiner neuen Erfindung bedurfte. Denn statt der ursprünglich geplanten Citypassage interpretiert das Büro Caspar Schmitz-Morkramer die klassische, europäische Stadt neu. Vier Geschäftshäuser mit Handel, Büro und Wohnen gruppieren sich um einen urbanen Platz, der als Gelenk zwischen Bahnhof und Innenstadt fungiert. Da an diesem Ort auch Albert Einsteins Geburtshaus stand, lag der Name auf der Hand. Das Herzstück der Sedelhöfe ist jetzt der Albert-Einstein-Platz.
Deiker Höfe in Düsseldorf
Ein weiteres Statement für moderne, vernetzte Stadtentwicklung sind auch die Deiker Höfe in Düsseldorf. Ein neues Quartier, das die Blackhorse Properties GmbH mit 350 Wohnungen, Büros, Einzelhandel, Gastronomie und Hotellerie entwickelt. Caspar Schmitz-Morkramer setzt auch hier auf Vielfalt. Ein lebendiges Viertel, in dem Städtebau als Disziplin und Kunst begriffen wird, Plätze entstehen, die menschliches Maß besitzen. «Wir möchten Orte schaffen, an denen sich die Menschen wohlfühlen, entwickeln und mit denen sie sich identifizieren können», lautet das Credo.
Vor allem die Digitalisierung setzt die City als klassischen Mittelpunkt der europäischen Stadt weiter unter Druck. Wie schaffen wir neue Urbanität, und wie erhalten wir das Leben in unseren Innenstädten?
Kultur und Konsum
In Köln setzt das Büro mit der neuen Lidl-Filiale ebenfalls deutliche Zeichen. Das Gebäude in Köln Buchforst passt sich den örtlichen Gegebenheiten an und zeigt, dass herausragende Architektur und ein Lebensmittelhandel gut zusammenspielen können.
«Einen schönen Lidl zu bauen, kann eine grössere Herausforderung sein als ein gutes Museum», resümiert Architekt Caspar Schmitz-Morkramer und spielt damit auf die unterschiedlichen wirtschaftlichen wie zeitlichen Rahmenbedingungen zwischen Funktions- und Kulturbau an. Im Supermarkt verbringt der Mensch durchschnittlich mehr Zeit als im Museum, doch über Jahrzehnte entschied die Frage von Quadratmetern und Warensortiment die Ausrichtung der Einkaufstempel. Inzwischen wünschen sich auch Städte, wie das Beispiel Köln zeigt, eine klare Haltung zur Gestaltung. Zugleich verändert der Onlinehandel die Situation rasant.
Die Filiale ist ein besonderes Projekt: Keine standardisierte Kiste, sondern ein Lebensort, der Sensibilität und gestalterischen Anspruch erforderte. In Köln Buchforst wird die Nachbarschaft der neuen Filiale von denkmalgeschützten Siedlungsstrukturen mit Klinkerfassaden geprägt. Die Gestaltung der neuen Fassade der Lidl-Filiale knüpft daran an und interpretiert sie in moderner Formensprache. Vor dem transparenten Eingangsbereich haben die Architekten einen städtischen Platz mit Bänken geschaffen. Der Parkplatz wurde bewusst ein Stück zur Seite gesetzt, sodass die kommunikative Situation vor der Filiale durch Bänke nutzbar gemacht werden konnte. Der Vorplatz verschafft der Filiale einen repräsentativen Auftakt, den Kunden einen adäquaten Empfang und gibt dem Quartier an prominenter Stelle ein Stück Urbanität zurück.
Auch in Dimensionierung und Proportion beginnt das Gebäude den Dialog zum umliegenden Quartier. Es wurde hier bewusst ein Stück Stadtreparatur geschaffen. So hat der Discounter zugleich eine gesellschaftlich verbindende Aufgabe. ●
Der Lab-Report
Über zwei Jahre sammelten die Architekten von Caspar Schmitz-Morkramer in einem eigens gegründeten Brain-Lab, einer Forschungsabteilung, Fakten, Daten und neue Ergebnisse zum Thema «retail in transition – Chancen für den Wandel im Handel». Sie zeigen, dass sich Baukultur und Konsum nicht ausschliessen, sondern architektonische Konzepte neue Einkaufserlebnisse schaffen. Sie entwerfen Szenarien für die Innenstädte der Zukunft, in denen die Themen von neuer Mobilität, grünen Innenstädten und Produktion, Bildung und Forschung zusammenfliessen können.






