3-D-Puzzle in Amsterdam
Surya Steijlen ist Projektleiter und Partner bei Levs Architecten. Er gibt Einblick in die facettenreiche Projektplanung am Entrepot Harbour in Amsterdam.
Die Halbinsel Cruquius in Amsterdam ist ein alter industrieller, am Wasser gelegener Teil der Stadt, in dem jetzt ein völlig neues Wohngebiet entsteht. Auch unser Büro befindet sich dort, und so liessen wir uns von der rauen Kulturgeschichte und den Möglichkeiten für zukünftige Entwicklungen inspirieren. Wir beschlossen, die Initiative zu ergreifen, setzten uns mit dem Eigentümer zusammen und präsentierten einen Umbauvorschlag für eine charakteristische alte Lagerhalle auf dem Gelände. Gleichzeitig wurden die komplexen Grundstücke neben dem Lager in die Projektentwicklung aufgenommen. Das führte zu einer intensiven gemeinschaftlichen Gebietsentwicklung und architektonischen Interpretation der gesamten inneren Kurve des Cruquiuswegs. An dieser Stelle haben wir drei Wohngebäude entworfen: «De Binnenbocht». Wie ein klappbares Trio verbinden sie sich mit dem Wasser, der Geschichte und miteinander. Die Unterschiede in Architektur und Typologie zeigen den gemischten Charakter des Gebiets. Zusammen bilden sie die Basis für ein neues vielschichtiges Lebensumfeld und eine neue Gemeinschaft.Wie gelang es, drei verschiedene Gebäude harmonisch in den Hafen zu integrieren?
Die städtebauliche Situation verlangte, sehr schnell sehr komplexe Fragen zu Integration, Orientierung und Mengen zu beantworten. Zum Beispiel haben wir im 3-D-Modell von «De Binnenbocht» während der Sonnenstudien schnell festgestellt, dass wir das grosse Gebäude «De Bocht» und das kleine «De Loods» nur nebeneinander platzieren können, wenn wir in der Südwestfassade von «De Bocht» Abstand schaffen. So entstand die Idee einer Stufenfassade, die Platz für das Lagerhaus sowie eine ideale Sonnenausrichtung für die Fassade von «De Bocht» lässt. Unser Modell ermöglicht die schnelle Berechnung dieser komplexen Fassadengestaltung. Gleiches gilt für die anderen Gebäude im Entwurf, und das gab uns die Freiheit, die Zeit optimal zum Nachdenken über die räumliche Gestaltung zu nutzen und auf Details zu achten, die letztlich die Lebensqualität wirklich verbessern. So haben wir uns zum Beispiel eingehend mit Sichtlinien und Laufwegen beschäftigt. All das hilft, einen Zusammenhang in der Vielfalt zu gestalten.
Wie verläuft gewöhnlich die Planung mit BIM bei Projekten wie «De Bocht»?
Wir erstellen unsere BIM-Modelle ab der ersten Skizze in ArchiCAD und überprüfen sie mit der Software Solibri. Durch direkte Entwurfsmodellierung können wir nicht nur mehrere Konzepte untersuchen, sondern zudem in jeder Phase schnell die erforderlichen Daten generieren. Machbarkeitsstudien sind dann sowohl kreativ als auch sachlich informativ. Anschliessend können wir 3-D-Elemente oder -Fassaden für Modelle von dem digitalen Gebäude drucken.
Unser BIM-Modell ermöglicht es uns, ganzheitlich mit Fachberatenden zusammenzuarbeiten und mit Bauherrschaften, Kommunen oder Nutzenden zu kommunizieren. Während der Phase des Architekturentwurfs können wir beispielsweise andere mit einer BIMX-Version in die räumliche Erfahrung unseres Entwurfs einbeziehen. In der virtuellen Realität kann man um und durch das Gebäude spazieren, und mit der Software Enscape machen wir umfangreiche und genaue Renderings.
Während der technischen Entwurfsphase tauschen wir mit Fachberatenden über ein IFC-Modell detaillierte Informationen beispielsweise über die Konstruktion oder den Feuerwiderstand aus. Das 3-D-Modell sorgt bei allen Beteiligten für eine schnelle Kommunikation über kleinste Details. Wir arbeiten mit Bauherren, Subunternehmern und Lieferanten an Teilen des Modells zusammen, damit alle Arbeitsprozesse mit Sicherheit nahtlos miteinander verbunden sind. Berechnungen, Arbeitsvorbereitungen und zunehmend auch Produktionszeichnungen stammen direkt aus dem Modell. Nehmen Sie zum Beispiel die vollständig detaillierten Fertigteilelemente, hier werden jetzt grosse Fortschritte gemacht. Während des Baus kann das Modell verwendet werden, um die Ausführung auf der Baustelle mit einer Augmented-Reality-Anzeige zu überprüfen.
Gab es potenzielle Stolpersteine?
Insbesondere die Fassade von «De Bocht» war in Bezug auf die 3-D-Modellierung in diesem Entwurf sehr anspruchsvoll. Das abgestufte Design und das Verdrehen des Blocks ergeben eine komplexe dreidimensionale Struktur. Das Modell war von entscheidender Bedeutung, um das dem Bauherrn richtig erklären zu können. Auch wir selbst haben sehr davon profitiert, zum Beispiel um einen Einblick in die Position der Terrassen in Bezug auf die intimen Innenräume zu gewinnen, den Lichteinfall zu untersuchen und Grundrisse anzupassen. Das hätten wir nicht von Hand zeichnen wollen.
Eine Besonderheit von «De Bocht» ist natürlich, dass alle vorgefertigten Fassadenelemente vollständig im BIM-Modell entwickelt wurden. Fast 400 davon sind sogenannte Sandwichelemente, einschliesslich Sichtbeton, Wärmedämmung, Fensterrahmen, Glas und Fassadengittern, die direkt aus unserem Modell produziert wurden.
Was kann in der Betriebsphase von «De Bocht» von BIM erwartet werden?
Nach der Fertigstellung hat das Modell weiterhin einen grossen Wert. Unter anderem erleichtert es den Wartungsprozess des Gebäudes. Ein Wartungsunternehmen kann damit einen übersichtlichen Mehrjahresplan erstellen, mit dem beispielsweise vorhergesagt werden kann, wie viele Quadratmeter Wandfläche gestrichen werden müssen oder ob auf irgendeiner Etage Lampen ersetzt werden müssen.
Noch wichtiger ist der Beitrag zum zirkulären Bauen. In Zukunft wird der Gebäudepass zum festen Standard. Alle Materialien und Komponenten wie Fensterrahmen und Türen sind in diesem Gebäudepass aufgeführt. Da unsere BIM-Modelle den in Zukunft tatsächlich gebauten Zustand wiedergeben, erhalten wir bereits jetzt einen vollständigen Überblick darüber. Später kann leicht herausgefunden werden, was bei Abbruch in einem Gebäude «geerntet» werden kann, das heisst, was zur Wiederverwendung erhalten werden kann. Darüber hinaus kann die Übersicht in unserem Modell mit aktuellen Datenbanken über die Umweltauswirkungen der Materialien verknüpft werden, um den Gesamteffekt des Gebäudes zu berechnen. Derzeit wird bereits an Plug-ins gearbeitet, um diese Informationen direkt in der Entwurfsphase zu ermitteln, sodass die Bedeutung eines solchen Modells in Zukunft zunehmend wichtiger wird. Ausserdem kann von Anfang bis Ende deutlich gemacht werden, welche Konsequenzen Design, Bauweise und langfristige Nutzung für das Klima haben. Entsprechend werden sich dadurch Gesetze und Vorschriften bilden, und durch das Arbeiten mit BIM können wir uns darauf einstellen.
«De Bocht» ist an einen Wärmeenergiespeicher angeschlossen. Wie wirkt sich das auf die Energieeffizienz des Gebäudes aus?
Das Heizsystem der De-Binnenbocht-Gebäude ist mit dem Wasser des Hafens verbunden. Für die Realisierung eines Wärmespeichers in der Erde oder wie in diesem Projekt in Kombination mit dem Hafenwasser ist das Arbeiten mit BIM-Modellen nicht notwendig. Aber alle technischen Installationen werden in unserem BIM-Modell herausgearbeitet, also alle Rohre, Kabel, Wellen und Anschlüsse. Wegen der Kombination aus Ates-Anschluss, der besonderen Form der Fassade und dem zentral eingebetteten Parkhaus entsteht ein komplexer diagonaler Hauptschacht. Mit BIM können wir solche Lösungen jetzt einfacher planen.
Wie ist der derzeitige Stand bei der Anwendung von BIM in den Niederlanden?
Wir stehen an einem Wendepunkt. Kein BIM zu verwenden, wird bald keine Option mehr sein. Tatsächlich steckt BIM noch in den Kinderschuhen, verglichen mit dem, wohin wir als Branche streben. Wir nehmen bei dieser Entwicklung eine führende Rolle ein. Sowohl innerhalb unserer eigenen Projekte als auch auf Branchenniveau. Wir treffen im Voraus klare Vereinbarungen mit Bauherrschaften und Bauunternehmenden darüber, welche Informationsebenen in welchen Phasen dem Modell hinzugefügt werden. Oft kommt es immer noch vor, dass die Erwartungen, was BIM betrifft, beim Architekten und beim Auftraggeber nicht übereinstimmen. Mit klaren Vereinbarungen arbeiten alle Parteien massgeschneidert und sehr zielgerichtet. Wir beraten über die beste Strategie und setzen uns für Standards für die Branche ein. Zum Beispiel arbeiten wir mit am ILS Design and Engineering des BNA (Bund Niederländischer Architekten), dem niederländischen Handbuch zur Festlegung von allgemeinen Informationen in einem BIM-Modell. Überdies sind wir Teil des Product-Owner-Teams, das den ILS Configurator entwickelt, ein Onlinetool für projektspezifische Anwendungen. Wir teilen unser Wissen bei Veranstaltungen vom BNA oder vom BIM-Software-Entwickler Kubus. Auf diese Weise tragen wir zur Weiterentwicklung unseres Fachbereichs bei. ●