Dem Ruf der Insel folgend
Die Casa d’Poço widerspiegelt die kulturellen und natürlichen Besonderheiten Kap Verdes. Heim Balp Architekten zeigen dabei, dass sie die lokalen Gegebenheiten respektieren und gleichzeitig einen vielseitigen, multifunktionalen Raum schaffen, der in der Gemeinschaft verwurzelt ist.
Die Casa d’Poço, das jüngste Projekt von Heim Balp Architekten, befindet sich im historischen Viertel von Mindelo auf der kapverdischen Insel São Vicente und widerspiegelt die Sensibilität des in Berlin ansässigen Büros für lokale Kulturen als Mittel zur Förderung eines Gemeinschaftsgefühls durch Architektur.Mit der Hybridfassade bezieht sich das Architekturbüro sowohl auf die Ästhetik als auch auf die Materialien, welche die kulturelle Identität und die Naturschätze von Kap Verde charakterisieren, während sie gleichzeitig einen vielseitigen öffentlichen und privaten Raum konzipieren, der Wohnen, Kultur und Gastfreundschaft miteinander verbindet. In dem Bestreben, die kontextuelle Essenz beizubehalten, werden die strukturellen, materiellen und ästhetischen Entscheidungen in den Entwürfen von Heim Balp Architekten kontinuierlich von den lokalen Kulturen geleitet – ein Engagement, das in bemerkenswerten Projekten wie den städtischen Ergänzungsbauten Carrer de la Diputació und de Nàpols in Barcelona spürbar ist, die von der besonderen Architektursprache der Stadt genährt werden, oder in der laufenden Restaurierung des aufgegebenen Fabrikkomplexes in der Lindower Strasse, einem Spiegel der industriellen Vergangenheit Berlins.
Spiegelbild der Inseln
Bei der Casa d’Poço fungiert die Fassade des fünfstöckigen Gebäudes als Spiegelbild der Inseln São Vicente und Santo Antão mit ihren unterschiedlichen kulturellen und ökologischen Merkmalen im Archipel. Als Antwort auf die bemerkenswerte, von Steinen dominierte Architektur von São Vicente ist die der Strasse zugewandte Seite mit dreidimensionalen Holzverkleidungen versehen, die eine wärmere, einladende Alternative darstellen und dem Ruf der Insel als pulsierendes Herz des jährlichen Karnevals entsprechen. Die hybriden Paneele aus Mahagoniholz bieten schattigen Schutz vor Sonne und Hitze. Abwechselnd geöffnet und geschlossen, strahlen die vertikalen Fensterläden eine Musikalität aus, da sie zum wechselnden Hintergrund und zur Kulisse des Karnevals werden und die ständig wechselnden und lebhaften Kostüme der Darsteller begleiten, welche die Strassen bevölkern.
Die hintere Fassade ist mit kaskadenförmigen Terrassen versehen, die den darunterliegenden Hof erschliessen und die benachbarte landwirtschaftlich geprägte Insel Santo Antão und ihre galoppierenden Berge ankündigen. Die Insel ist mit einer üppigen Natur als Ergebnis eines feuchten Klimas ausgestattet, das dem von São Vicente entgegengesetzt ist, und die Hügel sind von übereinanderliegenden Plateaus unterbrochen, die Becken bilden, in denen sich das Wasser der starken Regenfälle sammelt. In einer erfrischenden Hommage an dieses System stehen auf den Innenterrassen der Casa d’Poço überquellende Töpfe mit flüsterndem Weizen und Mais; der Regen ergiesst sich wie eine Flut auf diese Balkone und den in den Garten eingebetteten Hof. Das in einer Zisterne gesammelte Wasser wird in den trockeneren Jahreszeiten zudem für den Anbau von Pflanzen verwendet.
Strukturelle Entscheidungen
Der Entwurf, der den urbanen Touch von São Vicente mit dem Grün von Santo Antão verbindet, setzt den Dialog mit den kulturellen und natürlichen Merkmalen von Kap Verde durch andere strukturelle Entscheidungen fort. Die imposante Sonne der Insel wird zu einer wertvollen Ressource: Die auf dem Flachdach verlegten Solarzellen produzieren Strom. Der fensterlose vertikale Turm an der Seite des Gebäudes, der die Treppe umschliesst, ist mit Gips verkleidet, einem preiswerten und auf der Insel weitverbreiteten Material. Durch den unteren Eingang wird der Wind nach oben geleitet und zur Erfrischung der verschiedenen Stockwerke genutzt, bevor er an der Nahtstelle wieder austritt – eine weitere Praxis, die in den Bauwerken von Kap Verde immer wieder vorkommt. «Sowohl in ihrer Ästhetik als auch in ihrer Funktion ist die Casa d’Poço in dem Kontext verwurzelt, der sie umgibt – ein sehr vielseitiges Klima, eine üppige Natur, eine lebendige Kultur, alles in allem ein Land, das mit einem unendlichen Reichtum gesegnet ist. Indem das Design auf diese Vorzüge Bezug nimmt und auf ihnen aufbaut, feiert es nicht nur die Natur und die Kultur von Kap Verde, sondern verbindet Einheimische und Besuchende (wieder) mit ihrer Identität und fördert letztlich ein tief verwurzeltes Gefühl von Zugehörigkeit, Stolz und Gemeinschaft», erklärt Michael Heim, Mitbegründer von Heim Balp Architekten.
Eng verbunden
Diese strukturelle Hybridität widerspiegelt sich in der vielseitigen Funktion des Gebäudes, in dem Kultur-, Wohn- und Gaststättenräume untergebracht sind. Während sich im unteren der fünf Stockwerke eine Galerie befindet, die für lokale kulturelle Veranstaltungen offen ist, nehmen die oberen Stockwerke eine Vielzahl von Bewohnenden auf, sowohl ständige als auch Reisende. Im Innenhof, wo eine Gemeinschaftsküche und lange Bänke von den üppigen Balkonen überragt werden, kommen alle Bewohnenden in diesem geschützten Raum zusammen, der von der Strasse abgeschirmt und doch eng mit ihr verbunden ist. In der Casa d’Poço kommunizieren das Öffentliche und das Private ebenso wie die Natur und die Kultur, die sich alle auf ihre tief verwurzelte kapverdische Identität berufen, um einen ausgeprägten Gemeinschaftssinn zu kultivieren. ●