Grenzen ausreizen
Die Stadt Zürich ist mit einer einmaligen Lage gesegnet; am Ausfluss eines Sees, flankiert von Hügelzügen, die dem anschliessenden Limmattal nach Nordwesten folgen. Erst im späteren 19. Jahrhundert dehnte sich das Siedlungsgebiet aus.
Sitz der Denker
Der Gegenstand des Masterplans, das Hochschulgebiet, nimmt eine Hangkante oberhalb der rechtsufrigen Altstadt ein. Hier entstand Mitte des 19. Jahrhunderts die palastartige Anlage der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH), Anfang des 20. Jahrhunderts folgte das vom Jugendstil beeinflusste Gebäude der Universität. Die beiden markanten Gebäude werden oft als «Stadtkrone» bezeichnet. Vom Talboden her betrachtet, ragen ihre Silhouetten an einem bevorzugten Standort aus dem Häusermeer empor. Zürich räumt der Rolle des Geistes somit ganz offensichtlich eine privilegierte Position ein.
Hinter den Kronenbauten befindet sich ein kleines Plateau, bevor der Zürichberg steil ansteigt. Im oberen Bereich des Plateaus errichtete der Kanton sein Universitätsspital in einem parkartigen Gelände. So konnte ein reger Austausch zwischen Lehre und Praxis sichergestellt werden. Ausserdem waren die Patientinnen und Patienten dem Trubel der Stadt entrückt und konnten ungestört rekonvaleszieren. Ansteckungsrisiken und die Gefahr von Epidemien liessen sich in Distanz zum Siedlungsgebiet unter Kontrolle bringen. Über die Jahre entstanden seither zusätzliche Spital- und Institutsbauten, weiter hangwärts wurden Wohnhäuser für das Personal gebaut – das Hochschulgebiet verwandelte sich in ein Hochschulquartier in Zentrumsnähe. Namentlich beim Universitätsspital fand eine kontinuierliche Verdichtung statt.
Trotzdem wird das Raumangebot an diesem Ort, einst an der Peripherie gelegen, heute aber mitten im Zentrum, als zu klein erachtet. Mit dem Masterplan Hochschulgebiet Zürich Zentrum will man die gebaute Dichte markant um bis zu 40 Prozent erhöhen.
Intelligenz als Konzentrat
Treiber des Masterplans, der 2014 der Öffentlichkeit vorgestellt wurde, sind die drei Institutionen Universitätsspital, Universität Zürich und ETH. Sie teilen sich den Landbesitz im rund 50 ha, das heisst ½ km² grossen Planungsgebiet. Alle wollen von der Lage zusätzlich profitieren, indem sie sich ein grösseres und zeitgemässes Raumangebot leisten. Der Löwenanteil unter dem Projektnamen «Berthold» wird vom Universitätsspital beansprucht. Der Masterplan ist somit eine Art Gemeinschaftsprojekt, das die drei Institutionen enger zusammenschweissen soll. Man träumt von einem «Intelligenz-Cluster», das auf der Welt seinesgleichen zu suchen und selbst Cambridge, Massachusetts mit Harvard und dem MIT in den Schatten zu stellen vermag.
Diese Vision ist zwar von einem elitären wissenschaftlich-politischen Ehrgeiz getrieben, doch man will gerne glauben, dass sie Sinn macht. In der Tat gibt es zwischen den Institutionen Synergien, welche die Erleichterung und den Austausch unter verschiedenen akademischen Disziplinen als wünschbar erscheinen lassen.
So baut die ETH das zukunftsträchtige Gebiet Medizinaltechnik stark aus. Die bereits bestehende Nähe zum Universitätsspital ist eine Trumpfkarte, die man jetzt ausspielen will. Und obwohl ETH wie auch Universität Aussenstellen fernab des Zentrums besitzen (und aktuell ausbauen), wollen sie das Zentrum stärker beleben und dem Aspekt Forschung und Bildung mitten in Zürich zu einer stärkeren Geltung verhelfen. Dies kann sich auf den Ruf der Stadt und den Wert des Stadtzentrums positiv auswirken. Die politischen Parteien stehen bisher sowohl auf Kantons- wie auch auf Gemeindeebene praktisch geschlossen hinter der vorgegebenen Stossrichtung und ihrer Umsetzung als ungewohnt kompakte Verdichtung. Intelligenz blüht nicht nur auf dem Campus im Grünen, sondern auch als Konzentrat im Zentrum, scheint der Konsens zu lauten.
Verdichtung als Ernstfall
Dass die Umsetzung des Masterplans kein Spaziergang wird, ist schon in dieser Frühphase der Planung deutlich absehbar. 2014 operierte die federführende kantonale Baudirektion mit einem Volumenmodell. Es zeigt, dass sich das Gebiet in den nächsten Jahrzehnten ganz grundlegend verändern wird. Zürich könnte hier einen Massstabssprung erleben, der in seiner Geschichte keinen Vergleich kennt. Der Masterplan erlaubt Baukomplexe aus grossen, eng beieinander stehenden Volumen, die selbst das sogenannte Schwesternhochhaus aus den späten 1950er-Jahren überragen würden.
Abgesehen davon gibt es einen grossen Stolperstein: Zahlreiche bestehende Gebäude sind im Inventar schützenswerter Bauten eingetragen. In einer Güterabwägung wurde beschlossen, das Kantonsspital von Haefeli/Moser/Steiger aus den 1940er- und 1950er-Jahren – das notabene heute nicht mehr als modernes Spital taugen soll – zusammen mit dem dazugehörenden Spitalpark zu erhalten. Diese an sich löbliche Absicht – von der man sich argumentative Munition gegen wahrscheinliche Einsprachen erhofft – hat bedenkliche Folgen: Der gewünschte Mehrbedarf an Raum wird im oberen Teil des Planungsareals zusammengequetscht. Aus diesem Grund muss auch eine Strasse weiter hangwärts gelegt werden. Der neue «Boulevard» führt von nirgendwo nach nirgendwo und soll neben dem Spitalpark das neue Begegnungszentrum des Gebietes werden. Verdichtung braucht ein passendes Umfeld. Dazu gehört nicht nur die Lage im Stadtgefüge, sondern auch die Topografie. Und diese eignet sich an den Hängen des Zürichbergs denkbar schlecht für eine Massierung grosser Bauvolumen, die sich aufgrund der erwähnten Schutzzone in den Hang hineingraben müssen.
Heute darf man annehmen, dass der Masterplan demnächst rechtskräftig wird. Ob die Architektinnen und Architekten mit diesem eher funktionalistischen denn städtebaulichen Regelwerk und den hohen organisatorischen und spitaltechnischen Ansprüchen zurande kommen? Auf ihnen ruht ein grosser Erwartungsdruck.
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Der vorliegende Artikel gehört zur Reihe «Verdichtet bauen», einer Zusammenarbeit von «Architektur + Technik» und Creafactory, Agentur für Immobilienkommunikation, sowie der HIG Immobilien Anlage Stiftung.