Lernen unterm Matterhorn

Mit «d’niww Walka» haben GWJ Architektur in Zermatt ein neues Schulhaus realisiert.

Schulgebäude mit Pausenhof zum Hang im fast fertigen Zustand. (Foto: Alexander Gempeler)

Im beliebten hochalpinen Ferienort Zermatt (Wallis) ist eine neue Primarschule entstanden. Etwa 400 Kinder sind eingezogen und werden in diesem lichten Bau mit viel Holz und Glas ihre Schuljahre bis zur 6. Klasse verbringen. Künftig wird eine Gesamtanlage die drei alten, verbundenen Chalets ersetzen. Zwei Drittel davon (Walka I und II) mit Schule, Turnhalle, Bibliothek und weiteren halböffentlichen Räumen sind bereits in Betrieb. Der dritte Teil, der künftige Kindergarten mit Kita (Walka III), wird im Sommer 2025 eröffnet.

GWJ Architektur übernahmen in ihrem Entwurf den dreigeteilten Charakter der bestehenden Schulgebäude aus den Jahren 1958 bis 1972 mit ebenfalls drei gestaffelten und ineinander verschobenen Baukörpern. Obwohl jetzt die charakteristischen Satteldächer fehlen, bleibt die ursprüngliche Massstäblichkeit der drei Chalets als wiedererkennbares Zeichen bestehen. Die Baukörper integrieren sich mit einer Abtreppung am Hang in die bestehende Topografie und nehmen Bezug auf die umliegenden Gebäude. Obwohl die neue Schule im alten «Footprint» steht, musste ein weiterer Teil des Hangs gesprengt und entfernt werden – was bei den Extrembedingungen eine konstruktive und logistische Herausforderung war. Denn am Fusse des Matterhorns ist alles anders und extremer als anderswo, selbst in den Alpen. Im höchsten und grössten Sommerskigebiet der Schweiz gelegen, liegt auch in Zermatt auf rund 1600 Höhenmetern während einem Grossteil des Jahres Schnee. Beliebt bei Bergfexen aller Art, die in der Region Ski fahren, klettern oder wandern, prägen mehr als zwei Millionen Besuchende pro Jahr die Gemeinde mit 6000 Einwohnenden – (infra-)strukturell wie gesellschaftlich. Ausserdem ist das ganze Dorf autofrei und nur mit speziellen Elektrofahrzeugen befahrbar – und die Schule befindet sich am Südhang und am Rand der historischen Bebauung, sozusagen in der zweiten Reihe. So verengen nicht nur die klimatischen Bedingungen das Zeitfenster, in dem gebaut werden kann, sondern auch die Reisesaison und die Unterrichtszeiten. Hinzu kommt die extreme Hanglage, die zusätzliches, mitunter lärmintensives Gerät erfordert und den Abtransport von Abbruch- und Aushubmaterial durch den Ort erschwert.

Die Gestaltung des Neubaus, der die dreigeteilte Struktur aufnimmt, ist zugleich die Lösung der konstruktiven und logistischen Herausforderungen: Zwei funktional optimierte Bauabschnitte erlauben es, zeitversetzt zu bauen und zugleich den Schulbetrieb aufrechtzuerhalten, indem die Kinder im jeweils noch oder schon bestehenden Gebäudeteil unterrichtet werden. So konnten die einzelnen Bauetappen seit Beginn des Rückbaus im April 2021 präzise in die knapp bemessenen freien Baufenster gelegt werden. Ein weiterer Vorteil dieser Methode ist der Wegfall von aufwändigen Provisorien.

Südfassade von Südwesten. (Foto: GWJ Architektur)

Das Gedächtnis des Ortes

Der Hang bildet die Rückwand des Gebäudes, wobei die unteren beiden Volumen von der Felswand abrücken und somit vom Dorf her nicht einsehbare Aussenräume zur Hangseite hin freigeben. Die Schule präsentiert sich dem Dorf aus verschiedenen Blickwinkeln und in verschiedenen Höhen. Dadurch und durch die vertikalen Holzlamellen des vorgelagerten Fassadenrasters und durch horizontale Bänder wird die Gesamthöhe wohltuend gegliedert. Die seitlichen Fassaden sind grösstenteils geschlossen und kontrastieren zu den grosszügig verglasten südorientierten Fassaden. Dadurch wird ein rhythmisiertes, lebhaftes Spiel von offenen und geschlossenen Gebäudeteilen aufgebaut, die sich mit ihren Proportionen an das gebaute Umfeld anlehnen – eine moderne Interpretation der traditionellen Ökonomie- und Chaletbauten. Ebenso erinnern die leicht gespreizten Ecken der Fassade an traditionelle Strickhäuser.

Auch wenn die einzelnen Gebäude von aussen wie drei- bis fünfgeschossig erscheinen, verfügen sie vom Untergeschoss im Osten bis zum höchsten im Westen über insgesamt sieben Geschosse. Nicht zuletzt durch den Raumgewinn konnten neue Qualitäten geschaffen und durch die massvolle Integration in die Umgebung vorhandene gestärkt werden. Drei Wege führen durch das gewachsene Dorf zu den beiden Eingängen im Osten am Kirchplatz und weiter oben zur Kita im Westen.

Blick vom Atrium in ein Klassen- zimmer und auf den Pausenhof am Hang. (Foto: Susanne Goldschmid)

Offenes und transparentes Gemeindezentrum

Das Atrium im mittleren Bau ist der Dreh- und Angelpunkt und das gemeinsame Zentrum der «niww Walka». Es übernimmt gleich mehrere Funktionen, analog zu einem Dorfplatz. Es ist Ankunftsort und Orientierungspunkt, von hier gehen alle Korridore aus. Es ist Eingangshalle und Pausenraum zugleich, ein Aufenthalts- und Begegnungsraum für alle. Von hier aus können sich die Kinder gut orientieren und bis hinauf in die obersten – nach innen verglasten und damit transparenten – Etagen sehen. Dort sind die Brüstungen der Galerien so gestaltet, dass auch die Kleinsten auf ihrer Augenhöhe durch den tiefer gelegten Glaseinsatz nach unten schauen können. Blickbeziehungen ergeben sich wie von selbst.

Eine weitere Funktion des Atriums: nicht nur die Menschen verteilen sich von hier aus, sondern auch das Licht. Dadurch, dass das Atrium sich über alle fünf Etagen erstreckt, bringt es viel Tageslicht nach innen. Die oberen beiden Geschosse sind nach Norden und Osten geöffnet und führen es bis weit nach hinten in die hangseitigen Räume.

An das Atrium grenzen auch der Speisesaal, die Bibliothek und multifunktionale Sitzungszimmer, die teilweise öffentlich zugänglich sind. Dadurch steht die Schule auch der Bevölkerung zur Verfügung und kann als eine Art Gemeindezentrum genutzt werden. Der Speisesaal ist nicht nur für den Mittagstisch vorgesehen, sondern er bietet auch für Veranstaltungen, Versammlungen und als Theaterraum Platz für bis zu 150 Personen. Bei Bedarf können Schwingtüren zum Atrium hin geöffnet werden. Auch die holzverkleidete Einfachturnhalle im Untergeschoss wird im Abendbetrieb von lokalen Vereinen genutzt.

Die transparent einsehbare Bibliothek ist direkt vom Atrium aus zugänglich. (Foto: Susanne Goldschmid)

Das Farbkonzept: Die Kinder dürfen übernehmen

Die insgesamt 22 Klassenzimmer für den regulären Unterricht in den oberen Geschossen sind vor allem nach Süden, zur Sonne hin und mit Blick ins Tal ausgerichtet. Zum Hang oder innen liegende Zimmer erhalten natürliches Licht durch das Atrium oder Oberlichter. Der Neubau setzt die pädagogischen Ansprüche eines zeitgemässen «Zermatter» Schulbetriebes um und integriert die Anforderungen einer gemischten schulischen und ausserschulischen Nutzung über gesonderte Supporträume, die ergänzend zum Unterricht variabel genutzt werden können.

Alle Innenräume, die Flure, Vorzonen, Nischen und die offenen Treppenhäuser sind in zwei zurückhaltenden und landschaftsprägenden Farbtönen gehalten: warmes Holz und kühles Mineral. Die mineralischen Oberflächen sind vorwiegend aus Beton, während sich das Holz als Füllelement durch das ganze Fügungsprinzip zieht und immer wieder zwischen den mineralischen Bauteilen aufspannt, so etwa in den Garderoben und Nischen, wo man sich aufhält oder zurückzieht. Diese Grundstimmung zieht sich durch das ganze Gebäude und darf nun mit dem bunten Leben der Kinder gefüllt und gestaltet werden. ●

Auch die Kleinsten können durch die gläserne Brüstung nach unten sehen. (Foto: Susanne Goldschmid)
Werkraum im hinteren Teil des Gebäudes, mit Oberlicht. (Foto: Susanne Goldschmid)
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