Infrastrukturbauten – Bereit zum Abheben

Im Oktober 2020 erfolgt die Eröffnung des Flughafens Berlin Brandenburg. An der Schnittstelle zwischen beiden Bundesländern erfährt das Grossprojekt seine lang ersehnte Vollendung.

Flughafens
Von Morris Breunig (Text) und Marcus Bredt (Bilder)
Im Oktober 2020 erfolgt die Eröffnung des Flughafens Berlin Brandenburg. An der Schnittstelle zwischen beiden Bundesländern erfährt das Grossprojekt seine lang ersehnte Vollendung.

Nach dem ersten Spatenstich 2006 wähnte man die Eröffnung des neuen Flughafens Berlin Brandenburg «Willy Brandt» – der Beiname stammt vom ehemaligen Regierenden Bürgermeister von Berlin und vierten deutschen Bundeskanzler – in der deutschen Hauptstadt für das Jahr 2011. Sicherheitsrelevante Probleme in der Gebäudetechnik führten unter anderem zu diversen Verzögerungen, auf die viele weitere Eröffnungstermine folgten und die schliesslich in die Fertigstellung im Mai sowie in die offizielle Eröffnung im Oktober 2020 mündeten.

Übergeordnetes Konzept

Das städtebauliche Konzept im Entwurf von den Architekten von Gerkan, Marg und Partner (gmp) generiert trotz zukünftigen Weiterentwicklungen, wie zum Beispiel einem möglichen Ausbau bis zu einer Kapazität von 45 Millionen Passagieren, ein einheitliches System des Flughafens. Die Architekten entwickelten deshalb im Vorfeld für alle Planenden ein «Gestaltungshandbuch». In diesem sind unter anderem verbindliche Vorgaben zu baulichen Kubaturen, Materialien, Farben und Möblierung festgehalten.

Der Flughafen erstreckt sich auf einer Fläche von rund 2000 Fussballfeldern. Das durchgängige Freiraumkonzept bildet deshalb die ortsspezifischen Merkmale Berlins und Brandenburgs ab, zu denen unter anderem märkische Kiefern, Linden und Wiesenflächen gehören.

Architektonisch funktionale Einheit

Der Fluggastterminal als städtebaulicher und struktureller Kern der Anlage sowie der Airport City im Zentrum des parallelen Start- und Landebahnsystems bilden den neuen Flughafen. Wartungsbereiche im Westen sowie Service- und Cargobereiche im Osten ergänzen das, um im axial ausgerichteten Gesamtsystem eine architektonisch funktionale Einheit zu formen. Terminal, Piers und Airport City mit Büro- und Hotelgebäuden positionieren sich zwischen den beiden vorgegebenen parallelen Start- und Landebahnen, die sich beide gemäss der Hauptwindrichtung in Ost-West erstrecken. In dieser Symmetrieachse verlaufen die Bahnlinie und die Erschliessung der gesamten Flughafenanlage. In dieser Achse liegt die Haupthalle als zentraler Eingangsbereich. Diese und die u-förmig daran anschliessenden Piergebäude bilden den Terminalkomplex. Ankommende und abreisende Passagiere finden sich in der Haupthalle ein, die zudem für die Zentralfunktionen des Check-ins und die Gepäckabfertigung sowie auf sechs Ebenen für Retail- und Gastronomieangebote genutzt wird. Vom Check-in gelangen die Gepäckstücke in eine zweigeschossige Anlage zur Gepäckabfertigung. Die Sortierung erfolgt auf der oberen Ebene. Auf der unteren Ebene werden die Gepäckstücke für den Abflug für die Verladung in die Flugzeuge vorbereitet, und das Ankunftsgepäck wird in die Zuführung zur Gepäckausgabehalle eingespeist.

Die zentrale Sicherheitskontrolle schliesst ebenfalls an die Haupthalle an. Die grosszügige räumliche Konzeption gewährleistet zusammen mit der hohen natürlichen Belichtung eine optimale Orientierung und Aufenthaltsqualität für die Reisenden. Vertäfelungen aus Nussbaum und ein heller Jurakalkstein-Bodenbelag unterstützen dieses Ansinnen. Dreigeschossige, den Gates vorgeschaltete Brücken sorgen für die Passagierlenkung hinsichtlich einer Trennung von Ankunfts- und Abflugsebenen sowie einer Schengen- und Non-Schengen-Abfertigung. In der oberen Etage der Brücke befindet sich jeweils die Non-Schengen-Ebene, wodurch die Verkehrsströme optimal geleitet werden können. Süd- und Nordpier bedienen keine Non-Schengen-Flüge und haben deshalb auch keine obere Abflugebene.

Die Haupthalle gewährt ausserdem Zugang zur Besucherterrasse und zu einem Raum der Stille, der als Andachtsraum dient und in Ziegelbauweise umgesetzt wurde.

Im Sinne der Flexibilität

Zur städtebaulichen Konfiguration der Anlage entwickelten die Planenden ein Grundrissraster von 6,25 Metern, dem ein Flugzeug der Kategorie C zugrunde liegt. Aus diesem leitet sich das Grossmodul von 43,75 Metern und die Grundeinheit von 1,25 Metern ab, was sich bis auf 31,25 Zentimeter herunterbrechen lässt. Neben der Grossmassstäblichkeit sind somit auch kleinste Elemente wie der Natursteinboden damit abgedeckt.

Auch Konstruktion und Gestaltung des Terminalgebäudes unterliegen diesem Raster. Die 30 Meter hohen Stützen sind im Abstand von 43,75 Metern zueinander platziert und tragen das 49 000 Quadratmeter grosse und als One-Roof-Concept ausgeprägte Dach des 220 Meter langen Terminalgebäudes. Die Dachstruktur der Haupthalle ist zweischichtig ausgebildet und raumseitig mit einer Membran aus beschichtetem Glasfasergewebe verkleidet, das als hinterleuchtete Lichtdecke eingesetzt wird.

Die 20 Meter hohe und als Seilfassade mit horizontalen Tragprofilen konzipierte Hallenfassade verleiht dem Gebäude Leichtigkeit und erlaubt zudem eine natürliche Belichtung der Innenräume für eine hohe Aufenthaltsqualität. Die nördliche und die südliche Pier rahmen die Vorfahrt der Haupthalle, woraus eine klassisch anmutende Empfangssituation für die Reisenden entspringt. Die Auskragung des Daches mit mehr als 50 Meter unterstützt diesen Gestus. Kolonnaden dienen zudem als steinerne Pergola der seitlichen Einfassung des Terminalgebäudes und als Verbindung von Piers und Haupthalle.

Bis ins Erdreich

Im Sinne der Nachhaltigkeit verfolgte man kurze Wege und Zentralität. Die Terminalhalle dient als Knotenpunkt aller Verkehrsströme wie jene des darunter angeordneten Bahnhofs sowie der an- und abreisenden Passagiere. Ein vergleichsweise geringer Anteil an Glasflächen bei der Gebäudehülle beugt Energieverlusten vor. Ein Blockheizkraftwerk als Gas-Turbinen-Kraftwerk versorgt das Gebäude mit Energie und deckt 60 Prozent des Energiebedarfs – Strom, Wärme- und Kühlenergie – ab. Die 40 Meter tief ins Erdreich reichenden Gründungspfähle können zudem zur Gebäudekühlung und Wärmegewinnung in Verbindung mit einer Geothermieanlage genutzt werden. Neben der Regenwassernutzung besteht darüber hinaus die Option, das Dach mit Photovoltaik auszustatten.

Die baulichen Voraussetzungen für den lang ersehnten Betrieb des neuen Flughafens Berlin Brandenburg sind damit geschaffen. Der Flugbetrieb am Flughafen Tegel soll bereits Anfang November eingestellt werden, um diesen dann komplett an den neuen Standort zu überführen. ●

Daten und Fakten

Terminal- und Pierflächen– 360 000 m² Bruttogrundfläche

– Vorfahrt über zwei Ebenen mit je ca. 550 m Länge

Terminal– Länge: 220 m

– Breite: 180 m

– Höhe: 32 m

– 33 000 m² Glasfassaden

Flughafens
Die 30 Meter hohen Stützen sind im Abstand von 43,75 Metern zueinander platziert und tragen das 49 000 Quadratmeter grosse Dach des Terminalgebäudes.
Flughafens
Der Flugbetrieb am neuen Flughafen Berlin Brandenburg wird aufgenommen.
Flughafens
Der Flughafen erstreckt sich auf einer Fläche von rund 2000 Fussballfeldern.
Flughafens
Zur Vorfahrt der Haupthalle erreicht die Dachauskragung mehr als 50 Meter.
Flughafens
Um Energieverlusten vorzubeugen, wurde auf einen vergleichsweise geringen Anteil an Glasflächen bei der Gebäudehülle geachtet.
Flughafens
Besucherterrasse; Dachaufsicht des One-Roof-Concepts.
Flughafens
Flughafens
Flughafens
Vertäfelungen aus Nussbaum und ein heller Jurakalkstein-Bodenbelag sind Teil des gesamtheitlichen Gestaltungskonzeptes.
Flughafens
Flughafens
Flughafens
Vom Check-in gelangen die Gepäckstücke in eine zweigeschossige Anlage zur Gepäckabfertigung.
Flughafens
Flughafens grafik
Die 30 Meter hohen Stützelemente im Schnitt. Grafik: Architekten von Gerkan, Marg und Partner (gmp)
(Visited 26 times, 1 visits today)

Weitere Beiträge zum Thema

up to date mit dem
Architektur+Technik Newsletter
Erhalten Sie exklusive Trends und praxisnahe Innovationen mit Architektur+Technik –direkt in Ihr Postfach.
anmelden!
Sie können sich jederzeit abmelden!
close-link