Bildungsbauten – Schulhaus mit verschiedenen Facetten
Das Schulhaus Neuhegi in Winterthur knüpft Multifunktionalität an Kompaktheit. Neben Lehrzwecken wird es auch Vereins- und Betreuungsansprüchen gerecht.
Der auf dem ehemaligen Sulzer-Areal in Oberwinterthur entstehende Stadtteil Neuhegi erfreut sich eines starken Bevölkerungswachstums. Um diesem Zuwachs mithilfe von öffentlichen Bauten entsprechend Rechnung zu tragen, realisierte Elias Leimbacher Architektur mit Thomas Fischer ein neues multifunktionales Schulhaus mit Primarschule. Das 2018 fertiggestellte Gebäude ist Bestandteil des Freiraumkonzepts Neuhegi und positioniert sich am Ostrand des Neubaugebiets inmitten diverser Hofrandbebauungen. Der eng angegliederte Eulachpark führt den malerischen Prolog, was mit Blick auf die städtebauliche Situation die besondere Bedeutung des Schulhauses in Neuhegi unterstreicht. Pausen- und Sportplatz sowie Spielplatz für Kindergartenkinder füllen den Aussenraum. Jene auf die Bedürfnisse des Quartiers ausgerichtete Konzeptidee erweist sich als harmonisch und effizient in der Ausnutzung. Mit vergleichsweise geringer Gebäudegrundfläche und baustoffarmer Bauweise entspricht das auf Minergie-P-Eco ausgerichtete Gebäudekonzept gleichzeitig dem Nachhaltigkeitsgedanken.
Symmetrisches Fassadenbild
Über den südlich gelegenen Vorplatz erreicht man den Haupteingang sowie die Dreifachsporthalle, die wie die drei Kindergärten im Erdgeschoss über ein eigenes Entree verfügt. Das Schulgebäude erhebt sich mit 49 auf 56 Metern auf einem nahezu quadratischen Grundriss, erreicht eine Höhe von fast 13 Metern und fasst drei Ober- sowie zwei Untergeschosse. Über alle Etagen erstreckende Betonpfeiler mit vorgesetzten Sichtbetonelementen und dazwischen befindliche Verglasungen erzeugen ein symmetrisches Fassadenbild, das punktuell um Fluchttreppen und Balkone ergänzt wird. Vorvergraute Holzwerkstoffplatten fungieren als Dachrand und verbergen die Photovoltaikanlage auf dem Dach, die per Contracting mit der Stadt Winterthur Energie für das Stromnetz erzeugt und die Oberlichter beschattet.
Kompakt verpackt
Die funktionale Ausrichtung des Schulgebäudes fusst auf einem kompakten Raumprogramm und mutet anspruchsvoll an, weil verschiedene Nutzergruppen gleichsam bedient werden sollen. So kann die auf bis zu 1000 Personen ausgelegte Sporthalle für den Schulbetrieb, Wochenend- oder Abendanlässe und von Vereinen genutzt werden. Gleichzeitig weist sie den höchsten Volumenanteil des Baukörpers auf. In der Nordwestecke erstreckt sich die Sporthalle bei einer Fläche von 46 auf 32 Metern über drei Geschosse und kann auf der ausziehbaren Sitzplatztribüne 700 Personen fassen. Laut Leimbacher bereichert die daraus resultierende Aussenwirkung das Quartier: «Besonders bei den Heimspielen des Basketballvereins BC Winterthur, wenn die Lichter in der Halle angehen und viele Menschen für ein Ereignis zusammenkommen, zeigt sich die gesellschaftsverbindende Tragweite des Multifunktionsgebäudes.» Auf zwei Seiten wird die Sporthalle im Erdgeschoss von Schulräumen flankiert. Garderoben und Parkgarage befinden sich im ersten Untergeschoss, Lager- und Haustechnikräume bilden das flächenmässig reduzierte zweite Untergeschoss. Drei Kindergärten und verschiedene Mehrzweckräume ergänzen das Erdgeschoss. Das oberste Stockwerk als eigentliches Schulgeschoss mit 14 Schulzimmern wird von Räumlichkeiten für die ausserschulische Betreuung und einem Handarbeitszimmer komplettiert. Weil jede Etage über aussen liegende Rettungswege mit Fluchttreppen verfügt, können sich die Schüler in den innen liegenden Korridoren spielerisch überwiegend frei entfalten. Neben den grossflächigen Verglasungen lassen Oberlichter punktuell zusätzliches Tageslicht in das Gebäude einfallen.
Lernen fürs Leben
Feuerfest verkleidete Fachwerkträger aus Stahl, die sich über die gesamte Raumhöhe und Gebäudebreite erstrecken, integrieren sich mit dem Zickzackmuster als Blickfang in das Schulgeschoss. Indem sie die Dreifachturnhalle 32 Meter stützenfrei überspannen, übernehmen sie eine ästhetische Funktion und sind zugleich fester Bestandteil des statischen Konzepts. Dieses erforderte eine individuelle Lösung, weil Schulzimmer und Sporthalle üblicherweise in separaten Gebäuden realisiert werden. Um die maximale Höhe der Sporthalle effektiv ausnutzen und auch die Lasten der Dachkonstruktion aufnehmen zu können, platzierte man die 4,5 Meter hohen Fachwerkträger ähnlich wie bei einer Brückenkonstruktion über der Hallendecke. Durch den Verlauf entlang der Innenhoffassaden sind sie von aussen ebenfalls gut ersichtlich. Die Dreieckskonstruktion folgt im Inneren des Gebäudes zugleich den Erschliessungsachsen im Schulgeschoss und dient auf diese Weise als Orientierungshilfe. Schallschutzpaneele verhindern zudem Lärmübertragungen innerhalb des Gebäudes. Neben einer erdbebengerechten Bauweise berücksichtigten die Architekten auch den Schutz vor Radon.
Innenräume flexibel nutzen
Flexibilität und materielle Zurückhaltung sind ein Herausstellungsmerkmal der Innenräume im gesamten Gebäude, das sich harmonisch in den multifunktionellen Charakter integriert. Die Architekten fokussierten sich auf mobile Sitzbänke und Schränke und verbauten nur wenige statische Einbaumöbel. Schüler und Belegschaft nehmen jene Geste wohlwollend auf, indem unter anderem die Zwischenräume der Dreieckskonstruktion gestalterisch inszeniert werden.
Oberlichter in den Erdgeschosskorridoren, bestehend aus 8 auf 8 Glasbausteinen, können wahlweise als Schachbrett genutzt werden.
Die Materialisierung ist industriell charmant. Wände und Decken erscheinen in Sichtbeton, Linoleum dient als Bodenbelag. Türen und Treppenverkleidungen sind aus Sperrholz gefertigt. Technische Leitungen können zudem sichtbar nachempfunden werden. Kann jene Methode der Gebäudegestaltung womöglich auch pädagogisch wirken? Leimbacher verrät: «Mir wurde bereits von Kindern berichtet, die im Unterricht Lüftungskanäle gezeichnet haben.» Die Annahmen bei der konzeptionellen Ausrichtung von Bildungsbauten – besonders mit junger Zielgruppe – divergieren häufig. Kompositorische Überinszenierung oder formelles Understatement? Die Absicht der Architekten für den Standort Neuhegi ist als Zugeständnis an die Nutzenden formuliert. Die Schüler beantworten die Frage wiederum mit dem Selbstverständnis der eigens entfaltenden Kreativität und spielerischer Leichtigkeit. ●
Raumprogramm
Neubau Schulhaus mit Lernlandschaft, Dreifachturnhalle, drei Kindergärten und Betreuung
– 14 Klassenzimmer, 1000 m2
– 2 Lernlandschaften, 760 m2
– 9 Gruppenräume, 234 m2
– 4 Räume für Betreuung, 310 m2
– 2 Räume für Handarbeit und Werken, 160 m2
– 1 Singsaal, 180 m2
– 1 Bibliothek, 85 m2
– 1 Lehrpersonenbereich, 180 m2
– 3 Sporthallen, 1260 m2
– 3 Kindergärten, 342 m2
Bautafel
Standort Winterthur
Bauherrschaft Stadt Winterthur
Architektur Elias Leimbacher Architektur GmbH, Winterthur
Thomas Fischer Architekt GmbH, Zürich
Ausführung 2015 – 2018
Tragwerk Ulaga Partner AG, Basel
Landschaftsarchitektur Koepfli Partner Landschaftsarchitekten BSLA, Luzern