Landschaftsarchitektur – Norwegischen Landschaftsrouten

Unberührte Natur und Architektur. Passt das zusammen? Wie weit soll der Mensch hierbei eingreifen dürfen? In Norwegen stellt sich diese Frage weniger als hierzulande, da die Natur dort unendlich zu sein scheint.

Natur und Architektur
Von Marianne Kürsteiner (Text), Helge Stikbakke, Fredrik Fløgstad, Ken Schluchtmann und Marianne Kürsteiner (Bilder)
Unberührte Natur und Architektur. Passt das zusammen? Wie weit soll der Mensch hierbei eingreifen dürfen? In Norwegen stellt sich diese Frage weniger als hierzulande, da die Natur dort unendlich zu sein scheint.

Denkt man an die Natur Norwegens, so kommen einem Fjorde, Berge, Wälder, Seen, Wasserfälle, wohin das Auge reicht, in den Sinn. Um den Tourismus zu fördern und langfristig die Besiedlung und Wirtschaft auch in abgelegenen Distrikten zu stärken, wurde von verschiedenen mehrheitlich staatlichen Seiten bereits im Jahre 1994 ein nationales Projekt mit Norwegischen Landschaftsrouten ins Leben gerufen. Seitdem entstanden 18 Strecken à 2150 km.Mit zwei Architekturwettbewerben sprach man 2017 auch junge Architekturbüros an, sich mit Projekten zu beteiligen. Während die meisten der markanten Raststätten und Aussichtspunkte mit Kunstwerken oder Architektur von jungen Norweger Architekten «beseelt» wurden, schuf eine Raststätte in Ryfylke der Schweizer Architekt Peter Zumthor.

Und es sollen noch mehr werden bis zum Jahr 2029. Die Projekte sind unterschiedlich, haben aber eines gemeinsam: Natur und Architektur ergänzen sich und korrespondieren miteinander, wie die folgenden Beispiele zeigen.

Ostasteidn

Beim Bau des Design-Aussichtspunktes mit Rastplatz hat sich das norwegische Architektur-Team KAP von der Malerei des Norwegers Lars Hertervig (1830 – 1902) inspirieren lassen. Hertervigs erst spät entdecktes naturromantisches Werk wurde von der Fjordlandschaft vor Ort geprägt. Indem sie mit Naturmaterialien bauen und ungewöhnliche Verbindungen zwischen Gestaltung und Gelände schaffen, öffnen die Architekten neue Perspektiven für die Verbindung zwischen Natur und Kultur. Ein Weg führt zu Sitzplätzen, die nach Norden ausgerichtet sind und so einen wunderschönen Blick über den Sandsfjord bieten, bzw. zu einer Bank an einer Felskuppe, die vor dem Nordwest-Wind natürlichen Schutz bietet. Als zusätzliche Besonderheit wurde das Toilettengebäude mit einer Moosmischung bestrichen, sodass es im Laufe der Zeit eine moosbewachsene Fassade bekommt.

Svandalsfossen

Bei hohem Wasserstand stürzt der Wasserfall Svandalsfossen mit gewaltiger Kraft in die Tiefe. Auf den Treppen mit insgesamt 540 Stufen ist man dem rauschenden Wasserfall und der für diese Gegend typischen zauberhaft üppigen Vegetation sehr nahe. Eine andere Materialität wählten Haga & Grov AS Sivilarkitekter beim Wasserfall Svandalsfossen, der direkt neben einer Landstrasse niedergeht.

Ihre Installation war 2006 eine der Ersten im Rahmen des Gesamtprogramms. Hier sind es Treppen aus rostbraunem Stahl, die als Monolithe aus Stufen und Wangen gefertigt wurden und von einer Haltebucht an der Landstrasse aus nach unten zum See wie unter der Strasse hindurch auf der Bergseite in einige Höhe hinaufführen, wo die Gischt des Wassersturzes und der damit vom Sonnenlicht gebildete Regenbogen bewundert werden können.

Allmannajuvet

Dass der Grundtenor der norwegischen Büros mit ihrer Mischung aus Minimalismus und Materialbewusstsein nicht von ungefähr kommt, wird deutlich beim nahezu vollständigen Ensemble der Zinkgruben von Allmannajuvet.

Bereits im Jahr 2002 wurde der Schweizer Architekt Peter Zumthor beauftragt, eine Erinnerungsstätte für den kurzlebigen, mühsamen Bergbau des späten 19. Jahrhunderts zu schaffen. Zumthor konzipierte über Jahre hinweg eine Abfolge von zunächst drei Gebäuden: das Sanitärhaus am abschüssigen, aufgemauerten Rand des Parkplatzes, dann ein Café auf Stelzen und schliesslich das ebenfalls aufgestelzte Dokumentationszentrum. Dieses Gebäude, das im Inneren lediglich einen schmalen Gang zwischen Vitrinen mit Fundstücken des Bergbaus und der Bergleute bietet, ist ein Meisterwerk der Ingenieurskunst. Es sitzt auf einem Gerüst aus bis zu 25 Meter langen, untereinander verstrebten Kanthölzern auf, die geradewegs aus dem stark abschüssigen Felsenuntergrund herauszuwachsen scheinen.

Es hat mehrere kurze Sommer gebraucht, bis die Streben im Fels verankert waren. Alle Bauten sind mit einem sackartigen Gewebe überzogen und in mattem, Licht schluckendem Schwarz gestrichen. Wie fremdartige Wesen staken diese Gebäude in der Landschaft. Dahinter beginnt ein Saumpfad. Er führt über Hunderte Meter zum Eingang des feuchtkalten Stollens, der noch Reste der Grubengleise birgt.

Landschaftsrouten

Seit einigen Jahren mischen Architektur und Design aus Norwegen ganz vorne mit. Und auch in die Natur mischen sie sich vermehrt ein. An 18 ausgewählten Strassen haben sie Hand an die Landschaft gelegt – nicht, um den Weg zu versperren, sondern um die Kulisse zu verfeinern und neue Erfahrungen zu ermöglichen. Die Rede ist von der Initiative der Norwegischen Landschaftsrouten.

Diese hat sich zum Ziel gesetzt, Natur, Architektur und Design aus Norwegen zu etwas zu kombinieren, das die Gesamtheit ihrer Einzelteile übertrifft. Die 18 Routen befinden sich in West-, Mittel- und Nordnorwegen, an den Küsten und in den Bergen. Insgesamt umfassen sie 2136 Kilometer. Das Projekt dauerte knapp zwei Jahrzehnte und kostete Hunderte Millionen norwegische Kronen.

Landschaftlich reizvolle Fernstrassen gibt es auch anderswo. Was dieses Projekt so einzigartig macht, ist der Einsatz spektakulärer Architektur und Kunst. So wurde das noch nie zuvor gemacht. ●

Natur und Architektur
Das Trollstigen Visitor Center von Reiulf Ramstad Architects zeichnet sich durch klare und präzise Übergänge zwischen geplanten Zonen und Naturlandschaft aus.
Natur und Architektur
Die Architektur des Rastplatzes Ostasteidn ist von den Werken des norwegischen Maler Lars Hertervig inspiriert.
Natur und Architektur
Natur und Architektur
Die Treppen aus rostbraunem Stahl beim Wasserfall Svandalsfossen sind als Monolithe aus Stufen und Wangen gefertigt.
Natur und Architektur
Auf den Treppen ist man dem rauschenden Wasserfall Svandalsfossen und der für diese Gegend typisch üppigen Vegetation sehr nahe.
Natur und Architektur
Der Schweizer Architekt Peter Zumthor schuf in Allmannajuvet eine Erinnerungsstätte für den kurzlebigen, mühsamen Bergbau des späten 19. Jahrhunderts.
Natur und Architektur
Das Gebäude sitzt auf einem Gerüst aus bis zu 25 Meter langen, untereinander verstrebten Kanthölzern auf, die geradewegs aus dem stark abschüssigen Felsenuntergrund herauszuwachsen scheinen.
Natur und Architektur
Die Aussichtsplattform auf dem Gaularfjell beim Rastplatz Utsikten bietet einen Ausblick auf den gesamten mächtigen Landschaftsraum.
Natur und Architektur
Die Landschaftsroute Ryfylke ist eine lange, abwechslungsreiche Strecke, die den Bergbaubetrieb erlebbar macht.
Natur und Architektur
Die Architektur des Snøhetta-Aussichtspunkts ist beinahe noch beeindruckender als die Aussicht.
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