Der Letziturm der Schweizerischen Bundesbahnen

Der Letziturm wird mit der BIM-Methode geplant. Bei den SBB gilt er als BIM-Pilotprojekt. Langfristig möchten sie sogar alle Immobilien mithilfe der «Bauwerkdatenmodellierung» planen, bauen und vor allem bewirtschaften.

Letziturm
Der Letziturm ist für die SBB ein wichtiges Pilotprojekt. Mit ihm möchte das Unternehmen Erfahrung bei der digitalen «Bauwerkdatenmodellierung» sammeln.
Von Dipl.-Ing. Claudia El Ahwany (Text) und SBB Immobilien (Bilder)
Der Letziturm wird mit der BIM-Methode geplant. Bei den SBB gilt er als BIM-Pilotprojekt. Langfristig möchten sie sogar alle Immobilien mithilfe der «Bauwerkdatenmodellierung» planen, bauen und vor allem bewirtschaften.

Der Letziturm ist ein heterogenes Wohn- und Geschäftsgebäude und entsteht derzeit auf dem neuen Quartier zwischen den Bahnhöfen Zürich-Altstetten und Hardbrücke. Hier kommt von Anfang an die digitale Planungsmethode BIM zum Einsatz. Der Letziturm mit seinen insgesamt 22 Geschossen ist ein BIM-Pilotprojekt. Die Immobilientochter der SBB will mit dem herausragenden Bauwerk umfangreich Erfahrungen sammeln. Das Ziel: Bereits ab 2020 wollen sie fast alle Objekte mithilfe der «Bauwerkdatenmodellierung» planen, bauen und bewirtschaften. Vor allem das Bewirtschaften ist für die renditeorientierte SBB Immobilien AG von ganz besonderem Interesse. Denn was die wenigsten berücksichtigen: Bezogen auf die gesamte Lebensdauer eines Gebäudes haben die Planungs- und Baukosten einen vergleichsweise geringen Anteil. Das grösste Einsparpotenzial liegt bei der Bewirtschaftung, bei den Energieeinsparungen und den möglichst geringen Instandhaltungskosten. Viele Baubeteiligte denken jedoch bei dem Stichwort Building Information Modeling (BIM) in erster Linie an die Konzeptions- und Bauphase. Sie hoffen, durch dieses moderne Verfahren Fehler bei der Bauplanung zu vermeiden und so den Terminplan einzuhalten und letztlich Kosten zu reduzieren. Dementsprechend wollen sie beispielsweise mithilfe von BIM verschiedene Bauabläufe simulieren und so Kollisionen vermeiden. Doch die dreidimensionale Gebäudeabbildung bietet der SBB Immobilien AG noch weitere Vorteile: Der digitale Zwilling bietet in jeder Lebensphase des Objekts einen wichtigen Zusatznutzen. Für die SBB war die Entscheidung für BIM fast selbstverständlich, und in Zukunft will man auf diesem «digitalen Gleis 4.o» weiter die Überholspur nutzen.

Die SBB sind mehr als ein Transportunternehmen

Anders als der Name vermuten lässt, beschäftigen sich die Schweizerischen Bundesbahnen (SBB) als öffentlich-rechtliche Aktiengesellschaft nicht nur mit dem Transportwesen. Sie sind mit der SBB Immobilien AG auch einer der grössten Gebäude- und Serviceanbieter der Schweiz. In diesem Zusammenhang bauen sie Bahnhöfe und angrenzende Areale zu vielseitigen Dienstleistungszentren und Stadtquartieren aus. Speziell mit den zentral gelegenen Bahnhöfen in den Schweizer Metropolen Zürich, Bern, Basel und Genf verfügen sie über hochwertige Geschäftsliegenschaften für Dienstleistungs- und Detailhandelsunternehmen. Einige ihrer Objekte verkaufen sie, andere bewirtschaften sie selbst.

BIM – mit Fokus auf Bewirtschaftung

Genau hier kommt das Thema BIM zum Tragen: Die SBB Immobilien AG in ihrer Eigenschaft als Gebäude- und Serviceanbieterin möchte das moderne Planungswerkzeug dazu nutzen, eben diese Bewirtschaftung einfacher und wirtschaftlicher durchführen zu können. Hierzu sagt Alexander Muhm, Leiter Development bei SBB Immobilien, in einem Unternehmensvideo: «Selbstverständlich ist für uns auch die Planung und Errichtung der Gebäude ein wichtiges Standbein. Aber die ist in maximal zehn Jahren abgeschlossen.

«Building Information Modeling bedeutet für die SBB bessere Prozesse im Bewirtschaftungsbereich.» Alexander Muhm, Leiter Development bei SBB Immobilien

Danach geht es 40 Jahre lang in eine Bewirtschaftung, und die ist für uns relevant …» (um das komplette Video anzuschauen, nutzen Sie bitte diesen Link zum Video, Anm. der Red.). Auch hier zeigt sich: Die SBB denken weit über die Planungs-und Bauphase hinaus. Sie möchten das digitale Gebäudemodell langfristig nutzen, wobei der Schwerpunkt auf dem Facility Management liegt. Ein Aspekt, der vielen nur am Rand in den Sinn kommt und den sie oft gar nicht berücksichtigen. Zudem möchten die SBB – wie natürlich fast alle Bauherrschaften – durch BIM Kosten und Zeit sparen sowie Fehler vermeiden.

Nur noch BIM

Bereits ab dem Jahr 2020 nutzt die SBB Immobilien AG für alle neuen Objekte die BIM-Methode. Alexander Muhm erklärt hierzu: «Auch in den ganz frühen Phasen eines Projekts wollen wir zukünftig BIM einsetzen. Das heisst, wir werden dann schon unsere Wettbewerbe nach BIM-Methodik ausschreiben …» Um für die Digitalisierung gewappnet zu sein, möchte das Unternehmen nun prüfen, welche Parameter wichtig sind und wie das Planungs-Tool dereinst für die Zwecke der SBB eingesetzt werden kann. Aus diesem Grund entschieden sich die Verantwortlichen des Immobilienunternehmens dazu, ein Pilotprojekt ins Leben zu rufen: den Letziturm in Zürich.

Städtebauliche Einbindung

Die neue Immobilie wird sich zwischen den Bahnhöfen Zürich Altstetten und Hardbrücke befinden. Hier strukturieren die SBB ein in die Jahre gekommenes Gewerbe- und Industrieareal zu einem neuen Stadtgebiet um. Dabei übernimmt der Turm eine wegweisende Rolle. Er besteht aus insgesamt 22 Geschossen, wobei zwei schlanke Baukörper auf einem sechsstöckigen Gebäudesockel ruhen. Dieser nimmt im Osten die Kante einer denkmalgeschützten Lagerhalle auf und verbindet so gekonnt alte und neue Städtebauelemente. Die beiden Gebäudetürme sind genauso hoch wie das benachbarte Wohn- und Geschäftshaus mit dem Namen Letzibach D. Dadurch ist es den Planern gelungen, die drei Hochhäuser in der Stadt-Silhouette als Ensemble erscheinen zu lassen.

Heterogene Nutzung im neuen Gebäude

Der Letziturm selbst ist 15 600 Quadratmeter gross und beherbergt 157 Wohnungen, Wohnateliers und Gewerberäume. Auffällig ist, wie heterogen die zukünftige Nutzung sein soll. Einerseits sehen die Architekten im Objekt Gewerberäume und Wohnateliers vor, die es den künftigen Bewohnerinnen und Bewohnern ermöglichen sollen, Arbeiten und Wohnen zu vereinen. Andererseits sind auch Mini-Apartments geplant, die sich sowohl für eine moderne urbane Klientel eignen als auch zu Alterswohnungen ausgebaut werden können. An den beiden Gebäudeköpfen des Objekts sollen konventionelle Appartements entstehen. Sie sind sowohl für Familien als auch für Wohngemeinschaften gedacht. Die Baukosten des Letziturms wurden mit 75 Millionen Schweizer Franken veranschlagt (BKP 1–9).

Gute Vorbereitung

Bevor sich die SBB jedoch auf dieses konkrete Gebäude konzentrierten, bereiteten die Verantwortlichen den BIM-Einsatz beachtenswert taktisch und strukturiert vor. Zunächst legten sie im Rahmen einer BIM-Strategie fest, welchen Nutzen bzw. Mehrwert die digitale Planungsmethode dem Unternehmen bieten soll. Hierzu wurde ein Leitfaden erarbeitet, der die Aspekte der Bauwerkdatenmodellierung festlegte, die für das Unternehmen besonders relevant sind. In einem BIM-Handbuch bestimmten sie dazu alle wichtigen Richtlinien, Definitionen und Standards. Ferner beschäftigten sich die Verantwortlichen mit der BIM-fähigen IT-Laborumgebung und den Prozessen, die von ihr unterstützt werden sollen. Zu guter Letzt wurde beschlossen, welche beteiligten SBB-Mitarbeitenden auf welche Art geschult werden sollen, damit sie den zukünftigen umfangreichen und anspruchsvollen Aufgaben gewachsen sind.

Herausforderungen annehmen

Wie wichtig es ist, derart organisiert an die Einführung ins Thema BIM heranzugehen, wird deutlich, wenn man sich vor Augen führt, dass in der Schweiz viele Architekturbüros noch nicht einmal mit einem 3D-fähigen CAD-Programm arbeiten – geschweige denn mit BIM vertraut sind. Der konsequente Umgang mit einer solchen Datenflut von mehreren Terabyte, wie sie bei einem virtuellen Gebäudemodell anfällt, ist für die meisten entsprechend ungewohnt und stösst auch nicht nur auf Begeisterung. Dessen ist sich auch Alexander Muhm bewusst und erklärt hierzu: «… es ist zwar eine grosse Herausforderung an die Architekten, dass sie in diesen Systemen auch fit sind, aber es erleichtert in der Projektentwicklung massiv die Analyse …». Infolgedessen ist es wichtig, vorab Ziele und Begriffe festzulegen – wie es die SBB getan haben. Denn da das Arbeiten mit BIM noch bei vielen nicht zum Alltag gehört, ja sozusagen in den Kinderschuhen steckt, kann es leicht vorkommen, dass manche Planungs- und Baubeteiligten unter ein und demselben Begriff etwas völlig Unterschiedliches verstehen. Kostspielige und nervenaufreibende Missverständnisse sind also vorprogrammiert.

«Selbstverständlich ist für uns auch die Planung und Errichtung der Gebäude wichtig. Aber die ist in maximal zehn Jahren abgeschlossen. Danach geht es 40 Jahre lang in eine Bewirtschaftung, und die ist für uns relevant …» Alexander Muhm, Leiter Development bei SBB Immobilien

Darüber hinaus gehört zu einer guten BIM-Planung, dass die Baubeteiligten eng miteinander kooperieren. Da dieses Verhalten bisher nur bedingt erforderlich war, ist es noch nicht in Fleisch und Blut übergegangen. Dementsprechend hoch sind Reibungsverluste bei der BIM-Einführung.

Erfahrungen sammeln

Sicherlich wird es auch beim Letziturm noch einige Stolpersteine geben. Darüber ist man sich bei den SBB im Klaren. Doch sämtliche Erfahrungen der internen und externen Projektplaner sollen ins BIM-Handbuch der SBB einfliessen und bei den zukünftigen Projekten wertvolle Dienste leisten.

«… es ist zwar eine grosse Herausforderung an die Architekten, dass sie in diesen Systemen auch fit sind, aber es erleichtert in der Projektentwicklung massiv die Analyse …» Alexander Muhm, Leiter Development bei SBB Immobilien

Verläuft alles nach Plan, wird mit dem Bau des Letziturms im Jahr 2020 begonnen. Die Fertigstellung soll zwei Jahre später erfolgen. Dank BIM müsste das problemlos möglich sein. Wir werden sehen.●

Die Fakten

Projektwettbewerb auf Einladung:

1. Preis Armon Semadeni, Architekten GmbH, Zürich

Realisierung 2017 – 2022

Bauherrschaft SBB Immobilien, Development Zürich

Programm 157 Wohnungen, Wohnateliers und Gewerberäume

GF SIA 416 24 800 m2

GV SIA 416 75 900 m3

HNF SIA 416 15 600 m2

Kosten BKP 1 – 9 CHF 75 Mio.

Label DGNB Silber

Wie die SBB Immobilien AG die Digitalisierung umsetzt, zeigt ein Video mit Armon Semadeni und Jonas Krieg von Semadeni Architekten sowie Alexander Muhm. Um das gesamte Video anzusehen, nutzen Sie bitte diesen Link zum Video.

Letziturm
Der Letziturm nimmt die Höhe des benachbarten Wohn- und Geschäftshauses mit dem Namen Letzibach D auf. Dadurch erscheinen die drei Hochhäuser in der Stadtsilhouette als Ensemble.
Letziturm
Mit dem Wohn- und Geschäftshaus möchten die SBB eine heterogene Mieterschaft ansprechen.
Letziturm
Die SBB strukturieren ein in die Jahre gekommenes Gewerbe- und Industrieareal zu einem Stadtgebiet um. Der Letziturm spielt dabei eine wichtige städtebauliche Rolle.
Letziturm
Alexander Muhm
Alexander Muhm, Leiter Development bei SBB Immobilien.
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