Gesundheitsbauten – Eine besondere Lernumgebung

Die Heilpädagogische Tagesschule HPT in Biel ist totalsaniert worden. Das Schulgebäude aus dem Jahr 1974 ist zudem an drei Seiten erweitert worden.

Schulgebäude
Von Uwe Guntern (Redaktion) und Yves André (Bilder)
Die Heilpädagogische Tagesschule HPT in Biel ist totalsaniert worden. Das Schulgebäude aus dem Jahr 1974 ist zudem an drei Seiten erweitert worden.

Die Heilpädagogische Tagesschule Biel ist eine Sonderschule für Kinder im Alter von 4 bis 18 Jahren, welche infolge ihrer geistigen und / oder körperlichen Behinderungen eine besondere Lernumgebung benötigen. Mit 116 Kindern zählt die HPT zu den drei grössten Sonderschulen im Kanton. Sie ist die einzige zweisprachige Sonderschule.Das Schulhaus aus dem Jahr 1974 war damals durch die Architekten Andry  & Habermann in Zusammenarbeit mit dem deutschen Pädagogen Hugo Kükelhaus entworfen worden. Es wurde das «organologische Bauen» proklamiert, basierend auf einem Sechsecksystem für Grundriss und Innenraum-Gestaltung. Diese Ausprägung wird heute als selten eingestuft und steht daher unter dem Schutz der Denkmalpflege. Das Ziel bei der Neugestaltung war, der Tagesschule den Geist dieser strukturalistischen Architektur zu erhalten.

Anlass zu den Sanierungs- und Erweiterungsarbeiten der Anlage gaben Platzmangel und schwerwiegende bautechnische Defizite mit immer dringender werdenden grosszyklischen Erneuerungen der gesamten Gebäudehülle, des Daches, der verschiedenen Haustechnikanlagen sowie des Innenausbaus. Zusätzlich zur Behebung des prekären Zustands drängten sich notwendige Konformisierungen der Schulanlage an heutige Vorschriften und Anforderungen bezüglich Brandschutz, Hygiene, Erdbebensicherheit, Energiehaushalt und minimale Flächenvorgaben auf. Die Klassenräume mit einer Grösse von nur 30 Quadratmetern entsprachen nicht mehr heutigen Anforderungen (50 Quadratmeter). Auch die veranlassten Schadstoffuntersuchungen brachten Handlungsbedarf zutage, das Tragsystem wies gravierende Sicherheitsdefizite auf (bis 40 Prozent auf Durchstanzen).

Das Schulgebäude ist an drei Seiten erweitert worden: südseitig für die Vergrösserung der Klassen-, auf der Nordwestseite für Werk- und Therapieräume und auf der Nordostseite (zweigeschossig) für Administration sowie Konferenz- und Therapieräume. Diese Neubaubereiche wurden unter Wahrung der Integrität der als Zeitzeuge interessanten bestehenden Bausubstanz angebaut. Die Kontinuität ist sowohl in der Fassade als auch in den Innenräumen erhalten geblieben bzw. hergestellt worden. Das heisst: Verwendung derselben Materialien und Farben, Raumhöhen und -geometrien. Die Erweiterungen basieren demnach auch auf dem bestehenden Grundraster aus gleichseitigen Dreiecken. In der Bauweise wurden die bestehende Technik weitergeführt und die Primärstruktur mit Stahlbetondecken auf Stahlstützen gebaut. Die Wärmedämmung wurde im Minergie P-Standard bemessen.

Da das bestehende Gebäude als interessanter Zeitzeuge für die Siebzigerjahre galt, wurde insbesondere das äussere Erscheinungsbild des Fassadenkonzepts unter Begleitung der kantonalen Denkmalpflege sowie des damaligen Architekten Georg Habermann entwickelt. Die Materialisierung entspricht einer konsequenten Weiterführung der ursprünglichen Prämissen. Etwa 50 Prozent der Fassaden machten jene der Erweiterungsanbauten aus, die verbleibenden wurden in Abstimmung erneuert.

Holzfassade mit Möblierung

Eine Besonderheit des Projekts ist die mit massivem Eichenholz entworfene Glasfassade, welche innen mit einem integrierten Möbelsystem individuell ausgestattet werden kann. Das ebenfalls konsequent in massiver Eiche entwickelte Kit besteht aus Sitzbänken, Arbeitstischen, Gestellen und Aufhängevorrichtungen und ist sehr einfach zu handhaben – ein praktisches Einhängesystem von konischen Eichenzäpfen, welches in dafür vordisponierte Löcher in den Fassadenpfosten passt und jederzeit ohne Werkzeug umgehängt werden kann.

Die Klassen- , Gruppen- , Therapie- und Werkräume können somit spezifisch eingerichtet werden. Das Sortiment ist jederzeit mit neuen Elementen erweiterbar, bis hin zu Spezialeinrichtungen. Das geölte robuste Eichenholz verträgt die Handhabungen ohne Beschädigung der Oberflächen, hat angenehme haptische Qualität und ist sehr pflegeleicht. Gegen aussen ergibt die so bespielte Fassade ein lebendiges Bild innerhalb des ruhigen Hauptrasters. Das Design dieser Fassade resultiert aus dem Wunsch nach viel Tageslicht und einem starken Bezug zum Aussenraum durch geschosshohe Verglasung mit gleichzeitiger Nutzungsmöglichkeit der Fassadenflächen.

Technik

Es war ein kompletter Gebäudehüllenersatz notwendig. Der Dachrand als charakteristisches Element wurde ästhetisch entsprechend dem Original neu hergestellt. Die Hauptdachfläche ist mit neuer Wärmedämmung und Dachhaut versehen worden, die bestehenden Oberlichter wurden ersetzt. Kompliziert war der neue Dachaufbau deshalb, weil im Innenraum die bestehende Sichtbetondecke (weiss gestrichen) mit dem originalen geometrischen Fugenbild als schützenswertes Element unbedingt erhalten, das heisst unverkleidet bleiben musste. Sowohl die Stützenkopfsanierungen (Durchstanzen) mit zusätzlichen Verstärkungen als auch sämtliche Elektroleitungen mussten oberhalb der Decke gelöst werden. Dies machte die Dämmung und Abdichtung der riesigen Dachfläche zur besonderen technischen Herausforderung.

Begegnungsflächen

Beim gesamten Bau wurden «echte», weitestgehend natürliche Materialien gewählt, welche durch die Kinder auf verschiedenen Sinnesebenen (optisch, haptisch, akustisch usw.) erfahrbar sind, eine hohe Wertigkeit aufweisen, sehr beanspruchbar sind und schön altern. So auch im Innenausbau, welcher auf der selben Philosophie der Reduktion auf wenige, «er-fassbare» Materialien beruht und ebenfalls aus Eichenholz und Holzwerkstoffen besteht, im Zusammenspiel mit bestehenden Sichtbetonwänden und -decken: Türrahmen und -Blätter in Eiche, mobile Trennwände, Zwischenwandelemente und Sitzmöbel in den Vorbereichen / Garderoben ebenfalls in Eiche.

Der unter den nichttragenden Zwischenwänden durchgängige Massivholzboden besteht aus 2 Zentimeter starkem Eichenparkett aus den Siebzigerjahren, welcher trotz Rückbau bis auf das Tragsystem erhalten werden konnte. Für die Korridor- und Garderobenwände wurden hell lasierte zementgebundene Holzwerkstoffplatten (Cemspan) gewählt, welche mechanisch sehr widerstandsfähig sind, keine zusätzlichen Aufprallschutz- oder Sockelleisten erfordern und auch geeignet sind für das Garderobensystem; dieses besteht aus einem Satz von vier gedrechselten Eichenzäpfen pro Schüler, welche dieser seiner Grösse entsprechend im Wand- Lochraster für die Kleider, Namensschild mit Foto, das Turnzeug usw. einsetzen kann. Eigens entworfene Filztaschen für Schuhe werden ebenfalls mit Eichenzapfen an die Wand gehängt. Mobile hexagonale Hocker mit Fächern für Stiefel ergänzen die individuell gestaltbaren Erschliessungsbereiche vor den Klassenräumen.

Zusammenarbeit mit den Schülern

Damit die Kinder die Umtriebe nachvollziehen und sich im sanierten Gebäude wieder zu Hause fühlen, entstand die Idee, den Kindern mit Workshops die Möglichkeit zu bieten, ihre Wahrnehmung verschiedener Themen für die spätere konzeptionelle Gestaltung von Boden, Wänden, Vorhängen, Umgebung, Spiel und Erholung, Signaletik und Orientierung in Alltag und Arbeit mit spielerischen Gestaltungsübungen einzubringen. Zusammen mit der Lehrerschaft erprobten sie die Wirkung von farbigem Licht, laborierten mit Klang und Wasser, erarbeiteten bunte Patchworks und Collagen mit Fundstücken aus der Natur, erkundeten Materialien mit geschlossenen Augen oder liessen sich in einem kurzen Sketch Signaletik erklären, um eigene Piktogramme zu entwickeln.

Die Aufmerksamkeit der Kinder besteht oft nur für kurze Zeit. Sie lernen geduldig, sich immer wieder neu zu fokussieren. Die Beobachtung dieses steten Sich-Zentrierens für sich und seine Umgebung fand später in der Entwicklung der Ornamentik ihren thematischen Niederschlag. Als Grundlage für die Rapporte dienten die Grundrisse der einzelnen Räume und Erschliessungsbereiche, die jeweils nur im Zentrum eine klare Geometrie erscheinen lassen und bis zum Rand immer mehr ins Chaos ausfransen. Der besonderen Auffassungsgabe und Aufmerksamkeit der Kinder für Details bewusst, wurden diese Ornamente von Susanne Dubs schier unmerklich variiert und bilden eine durchgehend unaufdringliche Konstante in den Räumen – sei es als Sichtschutz mit kleinen Durchblicken, als Kollisionsschutz bei den Glastüren, als zarte Bilder von einem Teil im Ganzen bei den Vorhängen und bei den Fenstermöbeln als ephemeres Spiel von Licht und Schatten. ●

Bautafel

Architektur und Landschaftsarchitektur Bauzeit Architekten GmbH, Biel
Bauingenieur Tschopp Ingenieure GmbH / Ignaczewski, Bern
HLKSE und Bauphysik Enerconom AG, Solothurn
Künstlerische Gestaltung und Signaletik Susanne Dubs, Designerin FH, Magglingen

Schulgebäude
Das Schulgebäude aus dem Jahr 1974 ist an drei Seiten erweitert worden.
Schulgebäude
Die Erweiterungen basieren auf dem bestehenden Grundraster aus gleichseitigen Dreiecken.
Schulgebäude
Der Innenausbau beruht auf der Philosophie der Reduktion auf wenige «er-fassbare» Materialien.
Schulgebäude
Situationsplan
Situationsplan
Schnitt
Schnitt
Nordfassade
Nordfassade
Erdgeschoss
Erdgeschoss
Schulgebäude
Gegen aussen ergibt die so bespielte Fassade ein lebendiges Bild innerhalb des ruhigen Hauptrasters.
Schulgebäude
Eine Besonderheit des Projekts ist die Glasfassade mit massivem Eichenholz, welche innen mit einem integrierten Möbelsystem individuell ausgestattet werden kann.
Schulgebäude
Das Design der Fassade resultiert aus dem Wunsch nach viel Tageslicht und einem starken Bezug zum Aussenraum durch geschosshohe Verglasung mit gleichzeitiger Nutzungsmöglichkeit der Fassadenflächen.
Schulgebäude
Strenge Grundordnung, lebendig bespielbar.
Schulgebäude
Schulgebäude
Schulgebäude
Schulgebäude
Eigens entworfene Filztaschen für Schuhe werden mit Eichenzapfen an die Wand gehängt.
Schulgebäude
Die Oberlichter sind kaleidoskopartig mit auswechselbaren Elementen bespielbar, die wandernde Schatten- und Farblichtspiele auf Wände und Boden projizieren.
Schulgebäude
Schulgebäude
Damit die Kinder die Umtriebe nachvollziehen und sich im sanierten Gebäude wieder zu Hause fühlen konnten, war die Idee entstanden, sie in einer Projektwoche konzeptionell teilhaben zu lassen. Fotos: Susanne Dubs
Schulgebäude
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