Erhalten und Weiterdenken
Mit der Sanierung und Erweiterung der dreiflügeligen Anlage aus dem 17. Jahrhundert ist es gelungen, den Campus der Universität Siegen als Begegnungsstätte in das städtische Leben zu integrieren.
Im Oktober 2016 hat die Universität Siegen ihren Dienst in den 300 Jahre alten, denkmalgeschützten Gemäuern des Unteren Schlosses in Siegen aufge-nommen. Die Sanierung und Erweiterung der dreiflügeligen Anlage aus dem 17. Jahrhundert, für die pbr die Gesamtplanung erbrachte, hat die Universi-tät Siegen direkt in die Stadt gebracht und das Untere Schloss in das öffentliche Leben integriert. Mit der Errichtung des «Campus Siegen Altstadt» für 3500 Lernende und 200 Lehrende wurden neue Entwicklungsimpulse gesetzt und die Wahrnehmung der Stadt Siegen als Universitäts-Standort für die Zukunft gestärkt. Im Jahr 2014 haben nach Beseitigung der Brandschäden und einer Schimmelsanierung die Bauarbeiten am denkmalgeschützten Schloss begonnen. Ziel der Modernisierung war es, die drei Flügel des Schlosses zu einer Einheit zusammenzufassen und einen zeitgemässen Universitäts- und Lehrbetrieb zu ermöglichen. Auf etwa 4500 m² stehen nun den Mitarbeitern und Studierenden nach den Baumaßnahmen moderne Büro- und Seminarräume sowie eine neue Bibliothek zur Verfügung. Bauherr ist das Land NRW, vertreten durch den Bau- und Liegenschaftsbetrieb NRW, Niederlassung Soest.Ursprünglich als Franziskanerkloster erbaut, wurde das Untere Schloss Siegen im 17. Jahrhundert Residenz der protestantischen Linie des Hauses Nassau-Siegen. Noch heute befindet sich im Mitteltrakt des Schlosses die ebenfalls im 17. Jahrhundert erbaute Fürstengruft Johann Moritz Nassau-Siegens. Ab dem 18. Jahrhundert diente das Schloss als Behördenhaus, in der Zeit von 1936 bis 2011 als Nebenstelle der Justizvollzugsanstalt Attendorn. Die historischen Sitzungssäle sind heute noch vorhanden.
Diesen, durch die Nutzungsgeschichte geprägten Charakter des Schlosses wollten die Architekten von pbr erhalten. Details und Erinnerungen vergangener Zeiten sollten nicht ausgelöscht, sondern erlebbar bleiben. Für die Fassadensanierung bedeutete dies, zunächst Analysen von Putz- und Fassadenschichten vorzunehmen, um die neu aufzutragende Farbe an die historische Farbgebung anzulehnen. So ist das vertraute Gelb geblieben, lediglich etwas intensiver als zuvor. Die Fenster, Holz-Sprossenfenster mit einer Einfachverglasung, waren zwar in grossen Teilen marode und abgängig, konnten dennoch u. a. in den Mittelrisaliten der Hauptfassade des Schlosses als Belegachse erhalten und aufgearbeitet werden. Die hohen Wärmedurchgänge in diesen Bereichen wurden durch innen liegende Kastenfensterelemente als Holzfenster ohne Sprossen mit Isolierverglasung kompensiert. Die abgängigen Bestandsfenster zu ersetzen, erwies sich als keine leichte Aufgabe, da Gebäude dieser Art und aus dieser Zeit oftmals nicht nur mit einer Sorte genormter Fenster ausgestattet waren. Um die Fenster gestalterisch an das historische Vorbild anzulehnen, wurde jedes Fenster separat ausgemessen und eine Spezialfirma mit der Herstellung neuer Fenster beauftragt. Äusserlich entsprechen diese jetzt dem historischen Bestand, technisch modernsten Standards. Die Dachbeläge aus Schieferdeckung erwiesen sich aufgrund der Witterungseinflüsse als stark sanierungsbedürftig, sodass die Eindeckung entfernt, die vorhandene Dachschalung an schadhaften Stellen erneuert und neue Schieferplatten in altdeutscher Deckung aufgetragen wurden.
Erhalten und weiterdenken
Das Untere Schloss Siegen besteht aus drei Flügeln, dem Hauptflügel (Corps de Logis), dem Kurländer Flügel und dem Wittgensteiner Flügel (ehemals JVA). Ziel der Architekten von pbr war es, den Hauptflügel und den Kürländer Flügel in ihren wesentlichen Funktionen zu erhalten und die Besonderheiten der denkmalgeschützten Innenräume ersichtlich werden zu lassen. So wurde die Büronutzung beibehalten und lediglich durch die Einrichtung von sieben Seminarräumen ergänzt. Dabei stellte die Sanierung der teilweise unter Denkmalschutz stehenden Gerichtssäle die Architekten von pbr vor besondere Herausforderungen. So sollte ein Teil der Ausstattung, wie zum Beispiel die alten Tische, Bänke, die Holzvertäfelung sowie die historischen Leuchter und der Parkettboden, erhalten bleiben, gleichzeitig wurden in diesem Bereiche auch die Decken vollständig erneuert, um die Raumakustik zu verbessern. Alle Räume wurden mit modernster Elektrotechnik ausgestattet, sodass die Nutzung von Multimedia-Systemen stets gewährleistet ist. Eine neue Beleuchtung sorgt ausserdem für eine angenehme Arbeitsatmosphäre. Ein wesentlicher Aspekt der Sanierungsarbeiten beinhaltete die barrierefreie Erschliessung des gesamten Schlosses. Zu diesem Zweck wurde im Kurländer und im Haupt-Flügel ein gläserner Fahrstuhl im Treppenauge des Treppenhauses errichtet. Weiterhin wurden die Türen im öffentlichen Bereich des Erdgeschosses mit Obentürschließern mit reduziertem Öffnungsmoment ausgestattet.
Kontrastprogramm
Der klassische Ort des konzentrierten Lernens in einer Hochschule ist die Bibliothek. Diese sollte auch im Unteren Schloss nicht fehlen und ursprünglich im Wittgensteiner Flügel (ehemals JVA) eingerichtet werden. Nach einer umfangreichen Bestandsuntersuchung wurde jedoch festgestellt, dass dieser Flügel die erforderlichen Deckenlasten einer Bibliothek nicht erfüllen konnte und zudem einen enormen Höhensprung aufwies, sodass für die Umnutzung in eine Bibliothek lediglich die Errichtung eines Neubaus in Frage kam. Bewusst haben sich die Architekten von pbr für einen neutralen und zeitlosen Baukörper entschieden. Mit seinen geordneten Lochfenstern steht der kompakte Neubau ganz bewusst in klarem Kontrast zum denkmalgeschützten Altbau. Ergänzt wird der zweigeschossige Bibliotheksneubau mit seiner Fassade aus beigefarbenem, geschlemmtem Ziegel durch einen eingeschossigen Anbau in Sichtbeton. Zusammen bilden die beiden Baukörper einen geschützten Innenhof, der zum Verweilen einlädt. Mit seiner grossflächigen Glasfassade öffnet sich diesem der Anbau und erlaubt so vielfältige Sichtbeziehungen. Die neue Bibliothek erhielt einen zentralen Eingang vom Schlossvorplatz. Eine Windfangkonstruktion wurde als architektonisches Element zur Hervorhebung des neuen Eingangs im Schlossinnenhof errichtet. Im Innenraum der Bibliothek finden die Studierenden moderne Lern-, Arbeits- und Lounge-Bereiche vor.
Der erhaltene Bereich des Wittgensteiner Flügels wurde vollständig entkernt. Bis vor fünf Jahren wurde dieser noch als Gefängnis genutzt. Nach der Modernisierung werden die Wirtschaftswissenschafter/-innen nicht mehr von Wärtern und Sicherheitsschleusen empfangen, sondern von einem offenen und lichtdurchfluteten Eingangsbereich mit Info-Theke. Die tristen Gefängnishallen wurden zu hellen Räumen mit einer freundlichen Atmosphäre umgebaut. Als Zeugnis historischer Zeiten wurden die dicken Steinmauern des historischen Schlosses als Torbogen an einigen Stellen freigelegt und als Stilelement in die Innenraumgestaltung miteinbezogen. Ehemalige Zellen, in denen die Gefangenen ihre Taten überdenken sollten, stehen jetzt als Einzel- und Gruppenarbeitsräume für Studierende zur Verfügung. Mehr als 160 Arbeitsplätze sind in der neuen Bibliothek vorhanden. Lounge-Bereiche und der Innenhof stehen für kleine Pausen zur Verfügung.