Städtebau – Behutsam eingefügt ins historische Umfeld

In Stuttgart (D) ist an zentraler Lage in der Innenstadt nach siebenjähriger Planungs- und Bauzeit das Dorotheen-Quartier fertiggestellt worden.

Dorotheen-Quartier
Das neue Dorotheen-Quartier besteht aus drei Gebäuden mit Büros, kleinteiligem Einzelhandel, Restaurants und urbanem Wohnen.
Von Uwe Guntern (Redaktion) und David Matthiessen (Bilder)
In Stuttgart (D) ist an zentraler Lage in der Innenstadt nach siebenjähriger Planungs- und Bauzeit das Dorotheen-Quartier fertiggestellt worden.

Die Neugestaltung des Dorotheen-Quartiers am Stuttgarter Karlsplatz ist abgeschlossen. Sie ermöglichte in der Innenstadt die einmalige städtebauliche Chance, einen bislang eher als Rückseite empfundenen Ausgang der Karls-Passage zur Sporer- und zur Karlsstrasse hin aufzuwerten. Diese hochwertige Innenstadtfläche schliesst sich durch die drei Baukörper mit Büros, kleinteiligem Einzelhandel und urbanem Wohnen an das lebhafte Netz der Stuttgarter Fussgängerzonen an und stärkt die städtebaulichen Querverbindungen in der Innenstadt.Die Entwicklung seit dem Wettbewerb im Frühjahr 2010 hat zu einigen Veränderungen geführt. So wurde das ehemalige Hotel Silber zu einer Gedenkstätte umgewandelt. Der Erhalt des im Krieg weitgehend zerstörten und später in veränderter Erscheinung wieder aufgebauten Gebäudes hat zu einer Neustrukturierung der geplanten Baukörper geführt. Sie nehmen sich nun, in ihrer Höhe und Grösse reduziert, gegenüber der Umgebung stärker zurück, antworten jedoch architektonisch ausdrucksstark in kleiner aufgeteilter Form auf die Stuttgart-typischen Gegebenheiten.

Der Entwurf weitet die heutige Sporerstrasse auf, gliedert sie in zwei Plätze – Dorotheenplatz und Sporerplatz – und verknüpft diese mit dem belebten Stadtplatz vor der Markthalle. Die neue Sichtverbindung zwischen Markthalle und Karls-Passage trägt wesentlich dazu bei, wichtige Attraktivitätsfaktoren zu verketten. Ziel war es, einen Stadtraum ohne Rückseiten zu schaffen: mit attraktiven Fronten und unterschiedlichem Charakter bei gleichwertiger Qualität.Neue Elemente und Bausteine ergänzen die vorhandene Stadtstruktur. Eingebettet in die Umgebung greifen die drei Gebäude sowohl den historischen Stadtgrundriss als auch die Bezüge zur heutigen Umgebung auf. Sie sind unterschiedlich ausgestaltet und vermitteln zwischen den Proportionen ihrer Umgebung. Zum Beispiel greift der an die Markthalle angrenzende Baukörper deren Traufhöhe auf, während der zur Holzstrasse gelegene die eher grossmassstäblichen Ordnungen der Charlottenplatz-Umgebung annimmt.

Mit einer abwechslungsreichen Dachlandschaft präsentieren sich die Gebäude aus der Stuttgarter Halbhöhenlage. In der topografischen Situation der Kessellage Stuttgarts kommt der Dachlandschaft als fünfter Fassade eine besondere Bedeutung zu. Von vielen Blickpunkten aus sind die Dächer massgebliche Identifikationsmerkmale der Orte in der Stadt und geben der Anlage einen unverwechselbaren Charakter. Auf den Dächern aller Gebäude befinden sich intensiv begrünte Dachgärten mit Terrassen, Pflanzbeeten und Rasenflächen. Im Gebäude C sind sie als Privatgärten den Wohnungen zugeordnet. Auf den anderen beiden Gebäuden dienen die Gärten als Aufenthaltsorte für Mitarbeiter. Die so gedanklich unter einem grossen begrünten Dach zusammengefassten Räume werden durch die klaren, in der Höhe gestaffelten und übereinandergreifenden Dachflächen definiert und strukturieren den Strassenraum. Das Ensemble der Anbauten fügt sich wie selbstverständlich in den urbanen und gewachsenen Kontext und integriert die beiden bestehenden Eingänge, bildet aber durch seine Materialität und besondere Gestaltung neue architektonische Akzente.

Attraktive Einzelhandelsflächen und einladende Gastronomie, direkt zugänglich von der Sporerstrasse, beleben die Wegverbindung und werten den bisher als Rückseite wahrgenommenen Strassenraum auf. Der bestehende Gastronomiebereich in der Karls-Passage ist mit der Aussengastronomie am «Dorotheenplatz» verbunden und bildet an dieser Stelle einen Fixpunkt, der auch einer möglichen zukünftigen Anbindung des Bohnenviertels an die Innenstadt Rechnung trägt. Diese hochwertige Innenstadtfläche, die zum Flanieren und Verweilen einlädt und damit auch die städtebaulichen Querverbindungen in der Innenstadt stärkt, ist mit einem neuen Band an Aktivitäten an das lebhafte Netz der Stuttgarter Fussgängerzonen angebunden.

Naturstein und Aluminium

Für die Steinfassade der Gebäude B und C wurde Dietfurter Kalkstein aquapower verfugt verwendet, die Steinfassade des Gebäudes A besteht aus Dietfurter Kalkstein, handgebürstet, ebenfalls verfugt. Es war beabsichtigt, das «Geschwister»-Thema – ähnlich, aber differenziert – bei den Natursteinfassaden aufzunehmen. Die Aluminium-Faltfassade ist in Elementen und mit einer farbreflektierenden Beschichtung vorgefertigt. Die Geometrien aus der Steinfassade finden sich in den Aluminium-Fassaden wieder. Grössere Verglasungen zur Sporerstrasse wurden offen gestaltet. Die Fenster im Gebäude A sind bündig mit einer Prallscheiben-Konstruktion eingesetzt, um einen anderen Charakter zur stark befahrenen Hauptstätter Strasse auszubilden, gleichzeitig die natürliche Belüftung zu ermöglichen und Lärm abzuhalten.

Die Verbindung zwischen Aussenanlagen und Innenraum wurde über den Steinfussboden geschaffen. Die Arkaden zum Karlsplatz spiegeln die innerstädtisch belebte Stadtplatzsituation wieder. Aus Halbhöhenlage geben die Dachgeometrien und Faltungen Blickachsen frei zur Markthalle, zur Stiftskirche, zum Alten Schloss und zum Rathaus. Zwischen den Baukörpern sind etwa 6000 m² Fussgängerbereiche entstanden. Als Oberflächenbelag wurde eine Weiterentwicklung der «Stuttgarter Platte» verwendet. Diese ist ein spezieller Betonwerkstein, der in der Stuttgarter Innenstadt regelmässig eingesetzt wird. Hier kam jedoch eine neue Rezeptur an Zuschlagstoffen zum Einsatz, welche die Oberfläche wärmer erscheinen lässt und sehr gut mit den Kalksteinfassaden harmoniert. In der Else-Josenhans-Strasse wurden vier chinesische Wildbirnen und in der Münzstrasse fünf japanische Schnurbäume gepflanzt. Die Pflanzbeete der verbliebenen Bestandsbäume erhielten neue Stahleinfassungen. Demnächst werden noch Sitzmöbel und Fahrradbügel ergänzt.

Dorotheen-Quartier
Mit einer abwechslungsreichen Dachlandschaft präsentieren sich die Gebäude aus der Stuttgarter Halbhöhenlage.
Dorotheen-Quartier
Die Verbindung zwischen Aussenanlagen und Innenraum wurde über den Steinfussboden geschaffen.
Dorotheen-Quartier
Auf den Dächern aller Gebäude befinden sich intensiv begrünte Dachgärten mit Terrassen, Pflanzbeeten und Rasenflächen.
Dorotheen-Quartier
Zwischen den Baukörpern sind Fussgängerbereiche entstanden.
Dorotheen-Quartier
Für die Steinfassade wurde Kalkstein verwendet.
Dorotheen-Quartier
Größere Verglasungen wurden offen gestaltet.
Sporerstrasse
Ansicht von der Sporerstrasse.
Längsschnitt
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