Teufelswerk

Der Autor erzählt von einer irren Gratwanderung, anlässlich der er sich mit Fragen auseinandersetzt, für die es nur eine richtige Antwort gibt.

Teufelswerk
Die heute verlassene Bergstation der Pendelbahn Plan-Maison Furggen am Fusse des Matterhorn wurde im Jahr 1953 gebaut.
Freizeit- und Sportbauten in den Bergen
Text: Walter Maffioletti
Der Autor erzählt von einer irren Gratwanderung, anlässlich der er sich mit Fragen auseinandersetzt, für die es nur eine richtige Antwort gibt.

Wenn heute über Freizeitbauten in den Bergen nachgedacht wird, dann tauchen in diesen Gedanken gleich auch etliche selbsternannte Gralshüter der Bergwelt auf, die zum Himmel schreien und für eine museale Gestaltung der Alpen plädieren, wohl gerne vergessend, dass auch in den Alpen Leute leben, die – genau wie die Städter – ihren Unterhalt verdienen müssen. Schliesslich waren die Hänge des Züribergs früher auch unberührt, genau wie der Talkessel um Olten eine romantische Landschaft war. Und der Flughafen Kloten, von dem selbst Umweltschützer zwecks Feriengestaltung (natürlich in obligaten nachhaltigen Resorts) oder Richtung Kongresse abheben, war einst ein wunderschönes beschauliches Gebiet, wo sich Fuchs und Hase gute Nacht wünschten. Bei solchen Gedankengängen drängt sich wirklich die Frage auf, ob das Bauen in den Bergen eine teuflische Komponente hat, wie es oft suggeriert wird, was vielleicht auf die Geschichte der Schöllenenschlucht zurückzuführen ist.

Alte Gemäuer

Eigentlich hat Alpinarchitektur nichts Teuflisches an sich, denkt der Autor, als plötzlich vor seinen Augen ein an einer Felskante klebendes buddhistisches Kloster auftaucht. Zwar wäre nicht auszuschliessen, dass auch der Bau eines Klosters in Nepal unter Anwendung der schweizerischen Gesetzgebung (das Einspracherecht lässt grüssen) durchaus zu einem irdischen Problem werden könnte, aber grundsätzlich sind diese Bauten inner- und ausserhalb von Nepal richtigerweise sehr beliebt und faszinierend.

Der Haken dabei ist aber, dass die vom Autor genossene Ansicht trügerisch ist: Mit Nepal ist es nichts, «nur» das Matterhorn ist in der Kulisse zu sehen. Die alten Gemäuer des buddhistischen Klosters am Fuss des Matterhorns entpuppen sich als Bergstation der Pendelbahn Plan-Maison Furggen, die im Jahr 1953 mit ihren fast drei Kilometer ohne Zwischenmasten dahinschwebenden Gondeln eine unglaubliche technische Leistung war. Diese Bergstation wurde vom Turiner Architekten, Designer, Autorennfahrer und auch Skilehrer Carlo Mollino entworfen, zu dessen Werken auch das Turiner Theater gehört. Bekannt sind aber auch die Inneneinrichtungen und Möbel des Universaltalentes, die noch heute sehr begehrt sind. Tatsächlich liess er es sich im Übrigen nicht nehmen, Stühle und Tische der damaligen Bar auf 3491 m ü. M. selber zu entwerfen. Und dulcis in fundo: Auch seine von ihm angewandte Skifahrtechnik wird zu einer Kunstform, in dem er die Spuren seiner Skier fotografiert und sich von den Kurven zu Entwürfen für Möbel oder Gebäude inspirieren lässt. Seine besondere Skitechnik ist übrigens im Buch «Introduzione al discesismo – Tecnica e stili. Agonismo. Discesa e slalom. Storia – Didattica. Equipaggiamento» verewigt.

Doch zurück zur Pendelbahn Plan-Maison Furggen: Die bewegte Geschichte dieser Seilbahn ist faszinierend, genauso wie der heute verlassene Bau, der sich in die Landschaft so einfügt wie eben die Klöster in Nepal.

Teufel

Es mag sein, dass sich irgendein Teufel in Berghöhlen versteckt (der Yeti ist immer wieder ein aktuelles Thema, und die Zermatter Sagen haben es in sich), aber das Bauen in den Bergen ist nicht pauschal in die Höhle zu verbannen. Gute und respektvolle Bauten wie die Furggen-Station sind kein Vorrecht der Vergangenheit. Der Gedanke schwebt vom Furgghorn zur Sesselbahn Carmenna in Arosa, ein Werk der Architektenteam Valentin Bearth, Andrea Deplazes und Daniel Ladner, das ein wichtiges Zeichen beim Bau von Bergbahnen gesetzt hat.

Die Carmennabahn ist aber Opfer ihres eigenen Erfolgs: Dieses Werk wurde schlecht kopiert. Oder anders gesagt: In jeder Apotheke sind Originalmedikamente und Generika in den Regalen nebeneinander aufgereiht, in Arosa sind es die Sesselbahnen. Aber der Autor will nicht grübeln, heute ist «Happy Day»: das Matterhorn – das im Übrigen auch schon kopiert wurde – zeigt sich in seiner prächtigen Schönheit und mit Hut («Trägt das Horu einen Hut, wird das Wetter gut; trägt es einen Strauss, ist es aus…»), und im Tal wird im Restaurant Gitan der Kohlegrill bald angeheizt.

Respekt

Für Irritation sorgt nur die Tatsache, dass der wunderschöne Neubau der Hörnlihütte, die der Autor letztes Jahr besichtigte, trotz grosser Bemühungen kaum zu sehen ist, im Gegensatz zum historischen angebauten Gasthaus. Der Neubau «verschwindet» im Hörnligrat, wirkt höchstens wie ein Schleier. Architekt Hans Zurniwen und dessen umsichtiges Vorgehen beweisen, dass innovative Bauten und gute Architektur möglich sind, ohne der Bergwelt die Show zu stehlen.

In diesem Zusammenhang muss der Autor auch an die Neue Monte Rosa Hütte der Architekten Valentin Bearth, Andrea Deplazes und Daniel Ladner denken, die sich auf der anderen Talseite befindet. Diese Hütte, gebaut in Zusammenarbeit mit der ETH Zürich, kann zwar als Verkörperung des Fortschritts bezeichnet werden, aber sie beeindruckt insbesondere in ästhetischer Hinsicht. Ist der Besucher vor Ort, dann sieht er sich mit einem futuristischen Bau konfrontiert, der auf positive Art ins Auge sticht. Aber wer die Hütte aus der Entfernung anschauen will, der muss sehr geduldig sein, egal ob er sich auf dem Gornergrat befindet oder anderswo. Die Hütte ist kaum zu sehen, sie verschmilzt mit der Umgebung und scheint sich verstecken zu wollen.

Aber ein Tessiner bleibt ein Tessiner, auch wenn er das Glück hat, sich im Mattertal aufzuhalten: Baserga und Mozzetti haben mit der Cristallina-Hütte einen Meilenstein im Bedrettotal gesetzt, und der Umbau des Gotthardhospiz durch Miller & Maranta ist eine Hommage an den König der Alpen. Ja, sie lesen richtig, der Autor wagt es, den Gotthard über das Matterhorn zu stellen. Da scheint das Horu aber die Gedanken des Autors zu lesen und dies nicht zu goutieren: Plötzlich ist in der Mitte der Ostwand ein rutschender Block zu sehen, etwa so gross wie ein Fiat 500, der schliesslich auf dem Furggletscher mit einem lauten Knall zerschellt.

Heile Welt

Der aufmerksame Leser könnte jetzt versucht sein, den Schluss zu ziehen, dass die Bergwelt baulich eine heile Welt ist, in der Gesetze überflüssig sind. Leider ist dem nicht so. Der Autor hat hier grundsätzlich nur die Filetstücke und die besten Würste aufgetischt. Tatsache ist, dass auch in den Bergen viele Schandtaten begangen wurden, wie die Geschichtsbücher zeigen. Bedenklich ist es auch, dass gegenwärtig immer noch einige Schandtäter versuchen, sich Denkmäler zu setzen (und einige schaffen dies auch), ohne Respekt und Umsicht walten zu lassen.

Dabei ist es nicht einmal notwendig, nach Tignes zu fahren: Der Turm von Vals und die Türme von Schatzalp erwecken den Anschein, als ob gewisse Architekten und Investoren tatsächlich vom Teufel getrieben werden. Gerade deswegen sollten diese keine Angst haben, sich mit offenen Augen im sagenumwobenen Mattertal zu bewegen oder über die Teufelsbrücke in der Schöllenenschlucht zu gehen, um zu merken, dass es auch anders geht. Ob sich einige Valser Bürger bald einen Ausflug in den Bergen oberhalb von Zermatt leisten? Und falls die Gerichte beschliessen sollten, dass die Steuerrechnung des örtlichen Dorfretters doch höher als geplant ausfällt, dann dürfte das Geld zumindest doch noch für ein paar Kopien des Buches «Altes Hospiz St. Gotthard: Umbau des Hospizes auf dem Gotthardpass durch Miller & Maranta» reichen.

Schlusswort

Es geht anders, es muss auch anders gehen: Die bemerkenswerte «Stiva da morts» in Vrin von Gion A. Caminada ist zu klein, um Leichen der Alpinarchitektur aufzubahren; und für weitere Denkmäler wie das «Goldige Ei» in Davos, das uns mahnend an den Tod der Alpinarchitektur erinnert, ist der Raum zu wertvoll.

Aus der irren Gratwanderung des Autors im Alpinbau kristallisiert sich eine Gewissheit heraus: Egal, ob auf dem Berg oder im Tal – die Bauten und deren Umgebung werden nur so gut, wie es der Architekt auch ist. Ein schlechter Grilleur kann auch die beste Wurst verkohlen.

Walter Maffioletti
Walter Maffioletti ist Rechtsanwalt und Mitglied der Royal Institution of Chartered Surveyors (RICS). Er spezialisierte sich an der Uni Freiburg auf Bau- und Immobilienrecht, ist beratend und prozessierend bei Vialex Rechtsanwälte in Zürich und Lugano tätig und wirkt als Dozent und Referent an diversen Ausbildungsstätten mit. Zudem ist er Mitherausgeber des «Handbuchs zum Bauwesen».
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