Kommunikation als Schlüssel
Die Siedlung Thomasweg in Köniz wird im Dialog entwickelt. Dazu gehört die transparente Information der Anspruchsgruppen zum Beispiel in Form einer Ausstellung der Entwürfe aus dem Architekturwettbewerb.

Bauen ist anspruchsvoll. Die Regulierungsdichte ist hoch, die Planungsprozesse jenseits der Regelbauweise sind aufwendig, und der Bedarf an Mitbestimmung ist gestiegen. Selbst bei kleineren Projekten kann es bis zur Genehmigung eines Bebauungsplanes mehrere Jahre dauern. Damit der Aufwand am Ende nicht umsonst war, sollte die Kommunikation so früh wie möglich einsetzen. Nur so sind die verschiedenen Interessen in Einklang zu bringen.Ein Beispiel für erfolgreiche Verdichtung ist die Siedlung Thomasweg im Quartier Liebefeld in Köniz BE. Die rund 140 Wohnungen aus den Baujahren 1957 bis 1969 entsprechen nicht mehr den Anforderungen an zeitgemässen Wohnraum und sollen durch Ersatzneubauten ersetzt werden. Dabei wird die Bruttogeschossfläche von 15 000 auf 30 000 m² erhöht, der Parkraum mit 0,5 Parkplätzen pro Wohnung entsprechend reduziert, und nicht zuletzt erfüllt das Projekt strenge Energievorschriften. Trotz dieser eigentlich unpopulären Kennzahlen und obwohl Verdichtung in diesem Ausmass im ganzen Kanton Bern noch nie realisiert oder geplant worden ist, gaben 85 Prozent der Könizer Stimmbürger dem Projekt im Juni 2016 ihre Stimme. Wie erklärt sich dieses aussergewöhnliche Ergebnis? Gerade in Verdichtungsprojekten liegt ja viel Konfliktpotenzial: Das Ortsbild verändert sich, es wird mehr Aktivitäten auf beschränktem Raum geben, unter Umständen geht wertvoller Freiraum oder gar Identität verloren, die Infrastruktur muss angepasst werden usw.
Frühzeitig informieren
«Am Projekt Thomasweg lassen sich einige Kriterien für erfolgreiche Kommunikation ablesen», sagt Werner Schaeppi, Experte für Bau- und Immobilien-Kommunikation bei der Creafactory AG. «Zum Beispiel diese: Wenn man die allfällig negativen Folgen eines Projekts nicht angemessen kompensiert, sodass damit für alle Betroffenen auch ein Mehrwert verbunden ist, wird es schwierig mit der Akzeptanz. Mehrwert bedeutet aber für jeden etwas anderes, und es ist ein Fehler, wissen zu meinen, was die Menschen wollen. Man muss sie fragen. Am besten frühzeitig, denn dann kann man Projekte nach realen Bedürfnissen planen. Und von einem bedarfsgerechten Produkt profitieren am Ende nicht nur die Bewohner und die Gemeinde, sondern auch der Investor. Dabei kommt der Gemeinde eine Schlüsselrolle zu. Sie informiert die Bauherrschaft über die lokalen Gegebenheiten und Bedürfnisse und hat einen entscheidenden Einfluss auf die Meinungsbildung in der Bevölkerung».
Mit der Gemeinde kooperieren
Die HIG Immobilien Anlage Stiftung (HIG) erwarb die Siedlung Thomasweg im Jahr 2005. Bereits damals gab es Überlegungen, die Liegenschaften gelegentlich auf ihr Sanierungs- und Entwicklungspotenzial zu prüfen. 2012/13 nahm die HIG das Projekt in Angriff und liess eine umfassende Testplanung durchführen. Das Ziel war eine mögliche zukünftige Nutzung des Areals und eine aus städtebaulicher Sicht sinnvolle bauliche Entwicklung aufzuzeigen – dies in Absprache und Zusammenarbeit mit der Gemeinde Köniz. Bereits in der ersten Phase der Testplanung konnte aufgezeigt werden, dass die mangelhafte Bausubstanz kein hinreichendes Verbesserungspotenzial in Bezug auf alters- und behindertengerechten Wohnraum, zeitgemässe Grundrisse und energetische Sanierung aufweist. Hingegen eignet sich das Areal für Verdichtung sowie eine sozialverträgliche Erneuerung in Etappen und bietet sich aufgrund der hervorragenden Anbindung an den öffentlichen Verkehr für die Reduktion von Parkraum an. Am Ende der Testplanung fiel der gemeinsame Entscheid für den Ersatzneubau der Siedlung Thomasweg als nachhaltigste und zukunftsorientierteste Lösung.
Ängsten vorbeugen
«Kommunikation spielt in Bauprozessen eine immer grössere Rolle», sagt Werner Schaeppi. «Der Mitsprachebedarf ist gestiegen, es wird immer schwieriger, einfach etwas durch die Behörden zu verordnen. Die Menschen wollen mitreden, wenn sich ihr Lebensraum verändert. Das ist ein legitimes Bedürfnis. Dabei greifen baurechtliche Mitwirkungsverfahren, die nur eine öffentliche Auflage des Projekts und im Anschluss die Abstimmung vorsehen, zu kurz. Denn so werden die Bürger vor vollendete Tatsachen gestellt, zu denen sie nur noch Ja oder Nein sagen können. Zwar besteht die Möglichkeit, Einwände zu erheben, die im Idealfall in das Projekt einfliessen; können bestimmte Wünsche und Anliegen von den Projektplanern aber nicht berücksichtigt werden – aus welchen Gründen auch immer –, nehmen Einsprachen unter Umständen den Weg in die gerichtlichen Instanzen. Für den Investor bedeutet das eine kostenintensive Verzögerung und das Risiko des Scheiterns. Bezieht man die betroffenen Anspruchsgruppen aber mit ein – mindestens durch regelmässige Information über den Projektverlauf –, kann man Ängsten, die mit der Veränderung des Lebensraumes einhergehen, vorbeugen. Zudem spielt die Geste der Dialogbereitschaft für die Meinungsbildung eine Rolle. Menschen wollen sich gesehen und ernst genommen fühlen».
Lösungen suchen
Im Planungsprozess der Siedlung Thomasweg sass der Quartierverein Liebefeld-Leist frühzeitig mit am Tisch. Da die heutigen Wohnungen im tiefen Mietpreissegment liegen, besteht ein vorrangiges Interesse der Mieter darin, dass auch im neuen Quartier günstiger Wohnraum geboten wird. Die HIG hat sich mit dem Bedürfnis auseinandergesetzt und festgestellt, dass die Grösse des Areals und vor allem dessen Dreiteiligkeit eine differenzierte Objektpositionierung zulässt. Nach konstruktiven Gesprächen mit dem Quartierverein und der Gemeinde kam man überein, die einzelnen Baufelder differenziert zu betrachten und auf einem der drei Baufelder Wohnraum in einem günstigeren Preissegment mit tieferem Ausbaustandard und kleineren Flächen zu realisieren.
Auf den beiden anderen Baufeldern wird gemäss der erwarteten demografischen Entwicklung Wohnraum für ein breit gefächertes Zielpublikum aus der Mittelschicht erstellt. Beim Wohnmix liegt der Schwerpunkt auf mittelgrossen Wohnungen, die sich sowohl für Paare wie auch Kleinfamilien eignen, ergänzt durch kleinere und grössere Einheiten für Singles und grössere Familien oder Wohngemeinschaften. Zur demografischen Durchmischung des Quartiers tragen die zentrale Lage und die hervorragende ÖV-Anbindung bei, die das Wohnen in der Siedlung auch für ältere Personen attraktiv machen. Je nach Bedürfnis der Gemeinde ist die HIG bereit, für einen Teil der Überbauung Alterswohnungen (bei Bedarf mit Service-Leistungen) zu prüfen. Dem Bedürfnis der Gemeinde, den auf dem Areal bestehenden Kindergarten weiterzuführen, entspricht die HIG gerne. Geeinigt haben sich die Projektpartner auch über die Umsetzung des Ersatzneubaus in Etappen, um den Mietern die Möglichkeit zu bieten, bei passender Gelegenheit innerhalb der Siedlung umzuziehen.
Betroffene einbeziehen
«In der Projektentwicklung Siedlung Thomasweg wurde ein weiteres Kriterium für die erfolgreiche Kommunikation beachtet», sagt Werner Schaeppi, «das Recht der direkt Betroffenen auf Erstinformation. Wenn nämlich das Für und Wider eines Vorhabens direkt am potenziellen Konfliktherd verhandelt wird, können die Betroffenen nicht für die Ziele von Aussenstehenden instrumentalisiert und das Image des Projektes kann nicht beschädigt werden.» Nachdem die Könizer Stimmbürger die Änderung der baurechtlichen Grundordnung mit grosser Mehrheit annahmen, schrieb die HIG einen Studienauftrag aus, an dem sich mehrere Architektur-Büros beteiligten. Im Beurteilungsgremium waren neben den Fachexperten und der Bauherrschaft auch der Quartierverein und die Gemeinde vertreten, um die Anliegen der Bevölkerung weiterhin mit einzubringen.
Der vorliegende Artikel gehört zur Reihe «Verdichtet bauen», einer Zusammenarbeit von «Architektur +Technik», Creafactory, Agentur für Marketing und Kommunikation, und der HIG Immobilien Anlage Stiftung.
Zur Person

Dr. Werner Schaeppi ist Kommunikationsforscher und -berater bei der Kommunikations-Agentur Creafactory AG und beim Marktforschungsinstitut mrc research & consulting ag in Zug. Der studierte Psychologe und Linguist ist Mitbegründer und Mitinhaber beider Agenturen. Seit 1986 ist Werner Schaeppi selbsständig tätig in den Bereichen Marktforschung und Marketing-Kommunikation, PR-Strategie, Marktpositionierung, Branding und Kampagnen-Führung. Er leitete zahlreiche empirische Studien für private Auftraggeber, Behörden und Institutionen und führte Kampagnen zur Akzeptanz und Vermarktung von bedeutenden Immobilien-Projekten in der Deutschschweiz.

